Ein Tausendstel

Seit der AI Hype angefangen hat, versuche ich, an den ganzen ästhetischen, kreativen, gesellschaftskritischen, arbeitsmarkbezogenen und sonstigen Diskussionen absichtlich vorbeizuhören und mich stattdessen zu fragen: Was ist denn jetzt das Disruptionspotenzial von generativer AI in unserem Business? Noch genauer: Kann man da, wir sind ja schließlich Producer, irgendwie mal ’ne Zahl dranhängen bittesehr? Könnte man ja wohl mal versuchen. Schließlich hängen wir ja auch jeden Tag Zahlen an Agenturskripte, die regelmäßig kaum verbindlicher sind als die Frage „Was kostet eigentlich so ein AI Film“, also let’s go for it!

Der Regisseur Paul Trillo hat Zugang zu SORA und hat damit ein fantastisches Musikvideo gemacht, eine wahre Materialschlacht nach klassischen Maßstäben. Im FX GUIDE gibt es eine Analyse, die greifbar macht, was da auf uns zurast.

Trillo hat rund 240Minuten generiert für 4Minuten finalen Film, das macht eine shooting ratio von 60:1. Eigentlich nix Besonderes, erst recht nicht für ein Tool das noch in den Kinderschuhen steckt.

Irrerweise hat er dabei nur ein paar wenige Übergänge mit After FX getrimmt und alles gegradet, der Rest kommt so direkt aus SORA – woran man sich schon alles gewöhnt hat! Ich hab schon so Kommentare gehört wie „Holt mich nicht ab“… Ich selber bin noch beim dritten Mal Gucken geflasht von der Materialfülle, der weiredness, dem Tempo, dem Sog, den das erzeugt, aber egal: anderes Thema.

Der FX Guide hat die Kosten für die Computing-Leistung dahinter mit rund 650$ berechnet. Nicht für SORA wohlgemerkt, die haben noch gar kein Preismodell, aber für die erforderliche Computing Power, die man anhand von Tech Specs berechnen kann, die SORA veröffentlicht hat. Zu teuer für Amateure, aber ein Schnäppchen für professionelle Anwender.

Zum Vergleich: Dieses Musikvideo nach klassischen Gesetzen herzustellen ist budgetär kaum abbildbar bei der Anzahl an Szenen, Sets, Darstellern etc. 50-60 Sets; sagenwirmal 10 Drehtage, tonnenweise VFX… Egal, nehmen wir an, es hätte abgesehen von Regiegage und Konzeption, die ja für die SORA Version auch anfallen, wild guess: 650.000 gekostet, nach oben hin seeehr offen. Dagegen stehen 650 für Computingkosten.

Wenn also mal jemand das Disruptionspotenzial von Sora für den Kernbereich unseres Wirkens – das Filme Machen – mit einer Zahl versehen möchte, hier ist sie: Der Aufwand sinkt potenziell auf ein Tausendstel. BÄÄÄÄÄM!

Ist ja nur ’ne Zahl? Geht mal zu einem Autokonzern und erklärt denen, daß jemand grade eine Methode gefunden hat, ihr Auto für ein Drittel der Kosten herzustellen. Da fällt denen der Kitt aus der Brille. Bei einem Drittel, nicht bei einem Tausendstel.

Und ja, ich weiß: Es gibt X Gründe, warum das Video von Paul Trillo noch nicht so gut ist, als wenn man alle erdenklichen verfügbaren High End Tools und Realdreh dafür aktivieren würde. „Die letzten 5% sind immer die schwierigsten“, „Die Characters sind noch nicht konsistent“ etc etc yadda yadda yadda. Aber das ist doch alles MiMiMi angesichts des POTENZIALS einer Ersparnis von 1.000:1! Hallo, Kapitalismus und so???

Mal anders herum gefragt: Glaubt ihr, daß diese Ratio 1.000:1 genügend Anreiz hergibt, um Character konsistent zu machen und die letzten 5% auch noch hinzubekommen? Glaubt ihr, daß Sam Altman ein paar Milliönchen von den 7 Billionen Dollar ($7.000.000.000.000 – auch nur eine Zahl, aber eine Zahl mit 12 Nullen, mehr als ein Viertel des GDP der USA), die er für AI gern aufstellen möchte, da reinstecken wird? Wetten und Gegenwetten bitte gerne in die Kommentare.

Oh, und wer Langeweile hat, hört sich einfach unsere jüngste Podcast-Folge an (oder die davor, die ist auch super): https://www.filmmakingfuture.com

Hervorgehoben

More Risk, Less Fun

Wir gratulieren uns ja seit ein paar Jahren ständig selbst dazu, daß seit der Einführung des Kalkulationsstandards SCoPE nicht mehr über MarkUp gesprochen werde. Mach ich jetzt trotzdem mal. Hat ja auch die Kunden keineswegs davon abgehalten, uns weiterhin MarkUp-Sätze vorzugeben. Vielleicht ist das damals ja auch deshalb vergleichsweise easy bei den Kunden durchgeflutscht, weil sie sich gedacht haben: „Solange diese aufmüpfigen Werbefilmer sich an unsere komplett aus dem Ohr gezogenen MarkUp Vorgaben halten, soll es mir doch schnuppe sein, ob sie das ausweisen oder nicht!“

Ihr habt bestimmt schon viele MarkUp Definitionen gehört, aber hier kommt Producer Pauly seine Spezialdefinition: Das MarkUp einer Werbefilmproduktion setzt sich zusammen aus zwei Teilen, dem Gewinn- und Handlungskostenaufschlag, wie ihn auch eine Serviceproduktion berechnet, und einem weiteren Aufschlag, der als Risikoprämie fungiert dafür, dass wir Werbefilmproduziererinnen und -produzierer eine Preisgarantie abgeben. Das habt ihr anders gelernt? Ich kann alles erklären!

Wie geht die weltweit seit Jahrzehnten anerkannte Preisgestaltung einer ServiceProduktion? Ganz einfach: 10% ist der Preisaufschlag, den jeder Kunde schulterzuckend als die ganz normale MarkUp Fee akzeptiert, die man einer Service Produktion für ein CostPlus Projekt bezahlt. „Cost Plus“ ist ja nur eine andere Formulierung dafür, dass die Service Produktion eben keine Preisgarantie abgibt. Sie schlägt stattdessen 10% auf die tatsächlich angefallenen Kosten auf.

Auch wenn beide nahezu dieselben Kalkulationsformulare benutzen, auch wenn wir beide irgendwie von unserem MarkUp leben, unterscheidet sich unser Geschäftsmodell vor allem wegen der genannten Preisgarantie. Aber kalkulieren wir jetzt ein Line Item mit der Bezeichnung „Preisgarantieübernahmerisikoprämienaufschlag“? Nee, tun wir natürlich nicht. Der Unterschied unserer Geschäftsmodelle verbirgt sich schlicht in unserem höheren Markup.

Wie hoch muß aber der Unterschied zwischen diesen beiden Markup-Sorten sein, damit er diese  Preisgarantie belastbar abbildet? Die historische Voreinstellung in unseren Kalkulationen von 26,5 % habe ich schon sehr lange in freier Wildbahn nicht mehr gesehen. Die wahre Antwort geben Werbefilmproduktionen stattdessen jeden Tag, indem sie Angebote abgeben: deren Markup liegt sachichjetzteinfachmalsoausderLuftgegriffen irgendwo zwischen 20% und immer häufiger 15%. Frei aus der Luft gegriffene Zahlen natürlich!

So, jetzt haben wir alle Fakten zusammen: Die Prämie für die Preisübernahmegarantie liegt beim Abstand zwischen 10% Service-MarkUp und einem durchschnittlichen Werbefilmproduktions-MarkUp, vermutlich aktuell irgendwo zwischen fünf und zehn Prozent. Ist das viel? Wenig? Die meisten Werbefilmproduktionen leben ja noch, aber ich verrate sicher kein Geheimnis wenn ich sage: das ist verdammt haarscharf kalkuliert und puffert wahrlich keine großen Risiken ab, auch wenn es das eigentlich müsste.

Was bringt diese Betrachtunsgweise, diese Producer Pauly Formel vom Werbefilm-Markup = CostPlus Markup + Preisgarantie-Risikopämie? Wenn man das mal einen Moment lang so betrachtet, dann kann man auf die Entwicklung der letzten Jahre blicken – Spoiler alert: Tendenz sinkend – und konstatieren: Wenn das Werbefilm-Markup zu sehr sich den 10% des CostPlus Modells nähert, wenn also die Prämie dafür, dass wir in diesem hochvolatilen und komplett auf Kunden-Pleasing ausgerichteten Von-Der-Hand-In-Den-Mund-Business auch noch die Garantie für die Einhaltung eines abgegebenen Preises übernehmen, gegen Null sich bewegt, dann ist sie schlicht zu niedrig und damit, hier mal in Großbuchstaben, GEHT DAS AN DIE WURZEL UNSERES GESCHÄFTSMODELLS.

„Producer Pauly übertreibt“, höre ich manchen murmeln, „Preisgarantie, das ist doch nur ein Vertragsdetail, ist denn das wirklich so wichtig?“ Ich könnte da jetzt mit unserer täglichen Praxis argumentieren, schlage aber stattdessen ein gewagtes Experiment vor: fragt doch mal Eure Kunden, ob sie zum CostPlus Modell produzieren wollen, wenn sie das nächste mal mit MarkUp Vorgaben von sagichjetzteinfachmalbeispielweise 13% versuchen, die Prämie für die Preisgarantie gegen Null zu drücken. Aber setzt Euch vorher einen Integralhelm auf und zieht eine Kevlarweste an, denn die Reaktionen werden entsprechend sein. Das machen die nie. Kategorisch nicht. Never. Ever. Und warum? Nicht, weil das im Vertragsrecht so geregelt ist. Sondern weil sie genau wissen, wie wichtig es ist, die Verantwortung für das fertige Werk weder selbst in Händen zu halten, noch sie der Werbeagentur zu überlassen, sondern sie vielmehr uns Werbefilmproduzierenden umzuhängen. Dieses Wissen müsste man ihnen nur regelmäßig und immer wieder in den Arbeitsspeicher laden, indem man darauf verweist, dass es für 10% MarkUp und alles was sich dem nähert eben nur CostPlus gibt, geben KANN. Nicht weil wir den Hals nicht voll bekommen können, sondern weil die Übernahme dieses Risikos eben angemessen bepreist sein muß, damit sie aus Business Sicht verantwortbar ist.

Zwar höre ich noch meinen alten Producer-Yoda Glenn B. stolz sagen: „Wir sind Filmhersteller, keine Filmteile-Hersteller“. Aber im ernst: wenn das in absehbarer Zukunft keiner mehr angemessen bezahlt, dann sollten wir vielleicht alle kollektiv darüber nachdenken, ob wir nicht lieber auf diesen Stolz verzichten und zukünftig zum CostPlus Modell der Serviceproduktionen, der Filmteile-Hersteller, antreten.