Hervorgehoben

Do Producers dream of AI enabled films?

Consumer können mehr und mehr selbst zu Producern werden, wie ich’s neulich schon bebloggt hatte. Sie müssen dafür nicht gleich ganze Filme from scratch produzieren, sie können sich zukünftig auch anhand bestehender Filme aussuchen, wie, auf welchem Level und in welchem Department sie gern in einem Film eingreifen und ihn auf diese Weise neu oder mitproduzieren wollen. Sie können sich gewissermassen so Film School mässig von der Seite des fertigen Films her an das Produzieren heranrobben.

Ich zum Beispiel verabscheue ja den seifigen und einschläfernden Vangelis-Soundtrack zu BLADE RUNNER. Das Netz ist voll von sehr emotional geführten Debatten dazu – mir versaut er tatsächlich den kompletten Film.

Die Producer’s Notes, die Ridley Scott nach seiner 3. Schnittfassung zu lesen bekam, fragten unter anderem nach „more tits“, und schon im ersten Satz: „Where is the Vangelis Music“? Die haben sie leider am Ende bekommen. Wenn ich jetzt aber in naher Zukunft Ridley Scott rächen und den Soundtrack einfach austauschen könnte: „Hey AI, unterlege mir bitte BLADE RUNNER mit einem Soundtrack im Stil der Talking Heads“? 

Zunächst hab ich ja gedacht, daß uns demnächst AI mit Reglern beim Produzieren hilft, also etwa Midjourney mit speziellen Reglern, an denen ich Brennweite, Einstellungsgröße und soweiter finetunen kann. Aber vielleicht ist es genau so spannend, wenn es analog zum Sound und Farb – Reglern an der Glotze ein paar zusätzliche AI Regler gäbe wie den „Wes-Anderson-Style-Regler“; den „Hauptdarsteller“- Regler; den „Synchronsprache“-Regler?

Das passiert ja eh bereits massenhaft, die Travestie bestehender Filme ist ein riesiges Sub-Genre des generativen AI Outputs. DUNE im Stil von Jodorovsky (der tatsächlich mal einen Anlauf dazu unternommen hatte). ALIEN im Stil von Stanley Kubrick. Und JEDER DENKBARE FILMTITEL im Stil von Wes Anderson, natürlich. Das ist beileibe nicht ohne Vorbilder aus der Vor-AI-Zeit: Der Kern des Erfolgs von NETFLIX beruht auf NETFLIX‘ Fähigkeit, Travestien und Genre-Remixes nach Uservorlieben herzustellen: „Die User gucken am liebsten Politthriller und Kevin Spacey? Dann produzieren wir ihnen einen Politthriller mit Kevin Spacey!“ Aber AI ist jetzt auf dem Weg, mehr und mehr dieser eigentlich originären Producer-Tools an die Consumer selbst auszulagern. 

Schauen wir uns das auf Basis bereits existierender Filme an. Was daran macht AI auf einmal „anfassbar“ für uns Consumer? Nehmt mir für einen Moment bitte einfach ohne weitere Link-Belege ab, daß das alles bereits erkennbar möglich ist mit AI Consumer Tools, und daß da nur noch jemand rasch ein Frontend mit ein paar Reglern entwickeln müßte bitte, an dem man all diese Faktoren gleichzeitig tweaken kann, und die AI spuckt ruckzuck nach zwei Stunden Rechenzeit einen neuen Film aus:

_Darstellerauswahl: Niemand braucht mehr MoCap, das geht auf Basis von bestehendem Video Material. Also Hauptrollen austauschen. Nebenrollen austauschen. Alle Darsteller sollen Männer sein. Frauen. Frösche.

_Musik: Easy. Ging ja schon vorher, aber jetzt trennt einem die AI auf Wunsch die einzelnen Instrumental-Spuren; das Voice Over von der Musik und den Sound FX. Also anderer Komponist; nur Instrumentals; Orchesterversion statt Surfgitarre… Das kommt als erster AI Regler sobald die Rechtefragen geklärt sind, Wetten werden noch angenommen.

_Sprache & Sprecher. Gedubbt haben die Produzenten schon früher, aber jetzt können wir’s selbst. Und die AI trennt nicht nur die Spuren dafür, sie generiert nicht nur neue Stimmen, sie passt auch die Mimik & Mundbewegungen der Darsteller an die gesprochen Sprache an. Also Saturday Night Fever mit meiner Stimme für John Travolta, und alle anderen Stimmen von Olivia Newton John.

_Art Department: Eigentlich einfacher als MoCap. Also alle Möbel sollen bitte Art Deco sein. Philipp Starck Design. Giger.

_Styling: Alle tragen Kaftane. Oder nichts. Taucheranzüge. 20er Jahre Klamotte. 

_Location: alle Strassenszenen & Häuser Exteriors Hong Kong statt Detroit. Der Wald wie in Neuseeland. Dänemark. Ägypten.

_Framing: AutoFill machts möglich, ich habe schon völlig sinnbefreite erste AI Versionen von BladeRunner im Hochformat gesehen, aber hier geht’s ja nicht um meinen eigenen Geschmack, also bitte 9:16 für alle die das interessiert, was ich lange Zeit nicht glauben konnte, scheint aber so’n heißes Ding zu sein mit dem senkrecht gucken.

_VFX: Mehr so STUDIO GHIBLI, weniger so AVENGERS… 

_Und natürlich alle Kombinationen aus den obigen Beispielen und diverse andere Details, die Leuten wichtig sind. 

Ein Beispiel gefällig? Bittesehr, hier kommen die

AI Producer’s notes von Stephan Pauly zu Ridley Scott‘s BLADE RUNNER 

Schon ganz gut, aber ich hätte da gern noch folgende Änderungen:

Hauptrolle: vielleicht mal mit Christopher Walken aus ca. 1985 besetzen (weil Harrison Ford einfach nicht gleichzeitig Indiana Jones, Han Solo und Deckard sein kann); Bösewicht: Clark Gable statt Rutger Hauer (weil Rutger Hauer eh super ist, aber ich hab schon lange keinen guten Film mehr mit Clark Gable gesehen. Wie, schon tot? Das ist doch der AI egal!) 

Aspect Ratio: Finger weg, die bleibt natürlich in 2.39:1 Cinemascope, ihr Banausen!

Art Department: alle visuellen JAPAN Referenzen in VIETNAM Referenzen umwandeln (weil der JAPAN Takeover der Welt eindeutig eine 80er Jahre Idee ist, die nie so richtig eingetreten ist, und ich einen VIETNAM – Takeover der Welt interessanter fände) 

Autos, Flugobjekte und Gebäude bitte von LUIGI COLANI designen lassen (schlicht weil’s lustig wär)

Sprache bitte mal in Südafrikanischem Englisch (siehe oben)

Musik bitte wie gesagt von den Talking Heads, gerne im Stil meines Lieblingsalbums „Remain In Light“, aber ohne Vocals.

Im Ernst: All das rauscht doch einem Filmproduzenten täglich durch die Rübe, und nicht „more tits and Vangelis“ – so jedenfalls meine romantische Vorstellung von einem Filmproduzenten, und bald kann er sie es tatsächlich einfach ausprobieren! Der irre Twist ist ab jetzt allerdings, daß das auch für uns Consumer gelten wird. Mal alle technischen und rechtlichen Fragen außen vorgelassen, gibt es einen Markt für solche customizable Filme? Ach, mir doch egal, ich möchte eigentlich nur tagelang mit meinen neuen AI Reglern an BLADE RUNNER rumspielen, aber vielleicht bin ich auch nur ein wenig anders als die anderen kleinen Kinder auf dem Spielplatz.

Welchen Film würdet ihr euch vorknöpfen?

Und an welchen Reglern möchtet ihr gern drehen können?

Wer MACHT einen Werbefilm?

Eine ganz einfache, leicht zu beantwortende Frage, je nachdem, wen man fragt. Der Kreativdirektor, natürlich. Der Produzent? Die Regisseurin selbstverständlich! Aber ich spreche gar nicht von diesen bizarren Credit-Posts auf LinkedIn, Instagram et. al., wo immer mehr Väter des Erfolges zu sehen sind als man kennt, und immer die Hälfte der UmsetzerInnen zu fehlen scheint. Viel interessanter sind da die Verschiebungen, die ich im Prozeß beobachte.

FRÜHER ™, also grob gesprochen noch in den Nuller Jahren, habe ich auch aus den großen Kreativ-Agenturen quasi fertige Filme auf den Tisch bekommen, die wir „nur noch“ drehen mußten: jede Einstellung war gezeichnet und vom Kunden verabschiedet; so weit bereits ausdiskutiert, daß man die Storyboard-Frames als Animatic hintereinander gehängt und mithilfe von MaFo-Tests NOCH endgültiger gegen Kritik und Verbesserungen abgesichert hatte, bevor sie überhaupt an uns Produktionen, an eine Regie rausgegangen sind. Was haben wir gefightet um auch nur EINEN Frame zu addieren, oder gar einen zu verlieren! „Wir drehen die Alternative mal mit, vielleicht können wir sie ja im Schnitt davon überzeugen“, was für ein Kampf, was für ein Krampf!

Das gibt’s ja auch immer noch, und ich bekomme immer einen leichten Anflug von Nostalgie bei solchen Skripten. Dazu gehört aber zugegebenermaßen auch die harte Realität, dass das meist eher die nicht ganz so geilen Filme sind, die so daherkommen. Die Antwort auf meine  Eingangsfrage bei diesem Prozeß ist jedenfalls relativ einfach: den Film hat zu großen Teilen eigentlich schon die Agentur gemacht, und wir durften ihn „nur noch“ umsetzen.

Fast Forward 2023: Ich sehe gefühlt immer häufiger „Filmkonzepte“ aus seriösen Agenturen, die 150 seitige Keynotes sind. Mehr Fragen als Antworten. Kein einziger gescribbelter Frame, Storyboards oder gar Animatics weit & breit nicht in Sicht. Möglicherweise, weil die Agentur bereits alle Energie darauf verwendet hat, die Heilige Asset Liste zu vervollständigen („und dann noch 28x 10Sekunden Cutdowns für Insta; und die Youtube Prerolls nicht vergessen“)? Ist das Faulheit, Zeitmangel, Ratlosigkeit, „Schwächen im Abschluß“, wie das im Fußball heißt? Oder das Prinzip „Death by Zuballern“ – den Kunden mit einer so langen Präse beschießen, daß er nach Seite 100 die Hände hebt und sagt „jajaja, kommt wieder wenn ihr einen Film habt, ich kann nicht mehr“. 

Neiiiin, das ist es natürlich nicht! Ich will lieber an das Gute auch im Kreativen glauben und sage: das ist vielmehr jedes Mal die Chance für eine gute Regisseurin, die selbstverständlich von einer sehr guten Produktion gebackt wird, sich einen wirklich guten Film auszudenken. Denn, zurück zur Ausgangsfrage, wer macht dann den Film? Die, die das können: Regie & Produktion im Rahmen eines von der Agentur freundlicherweise im Vorfeld mit viel Arbeit etablierten Raums von Möglichkeiten.

Da kann, muß also das Machen wieder deutlich auf unsere Seite rüberwandern. Auch wenn uns keiner dafür bezahlt, daß wir uns den kompletten Film inzwischen regelmäßig from scratch selbst ausdenken (dürfen), ist das ja erstmal eine gute Sache, oder nicht?

In comes AI. Wenn das vielgefürchtete Animatic ein Angriff der Kreation auf die Exekution war – „schaut her, der Film ist quasi schon fertig!“, dann kann man mit generativer AI eine entgegengesetzte Bewegung beobachten, eine Art Angriff der Exekution, des Machens, auf die Kreation. „Was, wenn im Hintergrund Supermann durch‘s Bild fliegt und einen rosa Zwerg-Gorilla auf dem Highway absetzt, der mit Bananen um sich wirft?“ FRÜHER ™ konnten Kreative das nur denken & sagen; jetzt können sie das innerhalb von einer Viertelstunde auch schon visualisieren, MACHEN, und direkt den Effekt der bereits umgesetzten Idee ausprobieren. 

Und dann? Wenn das wirklich verkauft ist, braucht es nur noch jemanden, der’s auch nach allen Regeln der Kunst umsetzt, sprich: gut macht. Da hat mir neulich jemand aus einer befreundeten VFX Company etwas zugeworfen im Sinne von: „Goldene Zeiten kommen auf uns zu! Warum? Weil die Agenturen mithilfe der neuen generativen AI Tools den Kunden immer mehr sehr avanciertes, sehr ausgearbeitetes Zeug verkaufen, und anschließend händeringend nach Profis suchen, die das auf einem Profi-Level auch umgesetzt – GEMACHT – bekommen“. 

Yippieh! Oder? Wie auch immer: die Stellen, an denen der Film gemacht wird, und die Sichtweisen darauf – von Producern, von Regisseuren, von Kreativen – sind jedenfalls erneut gehörig in Bewegung geraten, und diese Bewegung wird sich nochmal rasant beschleunigen und verstärken.

AIron Man

Okay, sorry für den mauen Wortwitz, aber ich konnte nicht anders. Just A Rather Very Intelligent System oder kurz JARVIS ist da draußen. Jarvis spricht noch nicht mit uns wie mit Tony Stark, aber das nicht wegen technischer Limitationen, die gibt’s schon gar nicht mehr; sondern wohl nur deswegen, weil wir sonst noch mehr Schiß vor ihm/ihr hätten, als wir es sowieso schon haben.

Vergesst mal Jarvis‘ fancy user interface aus Iron Man, die Grafiken, die immer vor Robert Downey Jr.‘s Gesicht rumschweben, das sind nur so VFX-Platzhalter für „whooo, veeery complicated technology at work“. In Wiklichkeit ist die Idee von Jarvis in Iron Man das Gegenteil dieser Grafiken, Jarvis ist viel simpler und aber gerade deshalb so viel mächtiger. Warum? Jarvis spricht mit Tony Stark, und Jarvis erledigt, worum Tony ihn bittet. Jarvis ist ein Assistent, aber nicht wie Alfred, der Butler, sondern eher wie Siri auf Steroids.

Was müßte denn Jarvis in unserer Welt können, um ein so guter & mächtiger Assistent zu sein? Jarvis müßte mit mir kommunizieren können; und er müßte mit all den anderen Tools da draußen interagieren können, sprich: Schnittstellen haben zum Netz und zu allen anderen Programmen/Interfaces, die es bereits gibt, und die wiederum Schnittstellen in die reale Welt haben: Ich bitte Jarvis um ein Rezept für eine Quiche Lorraine. Jarvis findet ein Rezept, bestellt die Zutaten beim REWE Lieferdienst, und der liefert mir die Zutaten. Aber Jarvis müßte nicht nur mit REWE kommunizieren, sondern mit allem & jedem. Jarvis müßte DAS EINE FRONTEND sein, das ich brauche, um mit jeder Art Software zu interagieren. Und mit einem immer weiter wachsenden Teil der physischen Realität, die sich über diverse Software Interfaces erreichen lässt, ohne daß ich mit diesen Software Interfaces selbst in Berührung komme: Das soll ja mein Assistent Jarvis für mich erledigen.

Alles, was es dafür noch braucht, um Jarvis wahr werden zu lassen, ist (bitte ankreuzen)

  1. ein Multimilliardär-Genie wie *cough* Bill Gates Elon Musk *cough*: Tony Stark, der das entwickelt und finanziert
  2. 20 Jahre Forschung & Entwicklung zu AI
  3. Plugins

Ihr ahnt es, die richtige Antwort ist natürlich „C,“ A & B hamwa schon, und seit kurzem ist auch C am Start, denn ChatGPT4 ermöglicht, tadaa, P-l-u-g-i-n-s.

Und was so harmlos & simpel klingt („Plugins? Kenn ich! Braucht mein Quicktimeplayer um die RED Daten abspielen zu können“) ist ein Riesenschritt, weil das die Kommunikation zwischen ChatGPT4 und anderen Programmen ermöglicht, und zwar auf Initiative und optimiert seitens der anderen Programme selbst.

Achtung, weit hergeholte Vorhersage: Genau wie sich sämtliche Websites nach und nach dahingehend optimiert haben, daß GOOGLE sie findet, werden sich bald sämtliche Programme und Interfaces dahingehend optimieren, daß ChatGPT mit ihnen optimal interagieren kann. Nicht mehr du & ich als User, sondern unser aller Assistent. Und wenn das tatsächlich passiert, dann ist das in Wahrheit der Schritt vom ChatBot zum universalen Interface, von ChatGPT4 zu Jarvis.

Expedia zählt zu den ersten Anbietern dieser Art Plugins: Anstatt sich einen Reiseplan zurechtzulegen, und den dann selber mühselig auf der Oberfläche von Expedia abzuarbeiten, kann ich ChatGPT mit ein paar Sätzen briefen, wie meine Reise aussehen soll, und Jarvis klärt das dann mit Expedia. Inklusive Restaurantreservierung, Flugbuchung, Hotelbuchung etc.

Was bedeutet das im Speziellen für uns Producerhasen?

Eins der großen Themen war ja anfänglich, ob ChatGPT Google überflüssig macht als Gateway zum Netz, als die bessere Suchmaschine. Mit Plugins ist jetzt weit mehr als das passiert: ChatGPT macht mittelfristig alle andere Software nicht überflüssig, aber es wird sich im Alltag als Interface zwischen uns und andere Software schieben und der neue Gatekeeper werden für unseren Umgang mit den Tools auf unseren Rechnern und Telefonen. Damit ist das Supertool am Horizont in Sicht, ein General Interface, das für uns mit allen anderen Tools kommuniziert.

Fun Fact: ADOBE hat grade seine eigene Text-To-Image AI „Firefly“ präsentiert und wird sie als Plugin in Photoshop und Lightroom und auch in diverse Bewegbildtools integrieren. Und so nebenbei Adobes eigenes Stockfoto-Business kannibalisieren (wohl notgedrungen – bevor es andere tun…). Da kann man das Zusammenspiel zwischen AI und einem klassischen Tool wie Photoshop jetzt live innerhalb dieses begrenzten Biotops beobachten: Auch hier wird sich zeigen, wer hier am Ende wessen Plugin ist. Bleibt Photoshop Photoshop mit ein paar AI Erweiterungen, oder transformiert sich das nach und nach in eine Bilder generierende und manipulierende AI, die über alle präzisen Kontrollfunktionen aus Photoshop verfügt, die Midjourney et al. bisher eben noch nicht haben?

Zurück zur Producerrealität. Ich habe Gerüchte gehört über einen Autofilm, der gerade komplett im Rechner entsteht: alle Hintergründe und das Auto selbst werden in Unreal Engine zu einem kompletten Produktfilm zuammengefahren. Hintergründe, Kameramoves etc sind photorealistisch und ergeben einen Film, der zu 100% real aussieht. Noch mit viel Arbeit und Glitches und Problemen und Abstimmungsprozessen etc, sodass die 60 Sekunden Film da noch Monate an Produktionszeit fressen mit hunderten von Mann/Frautagen an Arbeit, Abstimmungsschleifen aus der Hölle etc. Vielleicht sogar sehr viel mehr „Handarbeit“ in Summe – ironischerweise – als wenn man real drehen würde.

ABER. Was wenn das bald state of the art ist (und das ist es, mark my words), und wenn die Diskussionen darum, ob das denn nun schon genauso gut wie real gedreht ist, mal ausdiskutiert sind, wie sie es auch beim Thema „Digitalkameras vs. Film“ irgendwann waren? Ich sage an dem Punkt sind wir schon. Diese ganzen AUDI Filme etwa, ihr wisst schon: Ze future is an attitude und so, die WOLLEN doch so aussehen, als wenn sie aus dem Rechner kämen, die könnten längst komplett aus dem Rechner kommen und niemand würde den Unterschied bemerken, ob nun die Stahl&Glas Wolkenkratzer aus Dubai kommen oder aus der Unreal Engine.

Okay, da sind wir, werdet ihr sagen, aber was kommt dann? Vielleicht das hier, sicherheitshalber noch im Konjunktiv formuliert, damit ich nachher alles als reines Gedankenexperiment abtun kann: 

Was, wenn die Unreal Engine ein Plugin für ChatGPT anböte und ich sagte oder tippte: „Jarvis, sprich doch mal bitte mit der Unreal Engine, ihr kennt euch doch. Ich hätte gern einen 30 Sekunden langen Autofilm, der in der Wüste spielt mit folgendem Auto, hier ist der Link zur Regieinterpretation mit allen Midjourney Prompts, mit denen wir die Bilder erzeugt haben; und hier die CAD Daten vom Auto. Bitte inkludiere folgende Einstellungen: 1-15. Storyboard läßt du dir von MJ malen, ich schau vielleicht vorher mal drüber, oder egal: mach einfach fertig, wenn’s mir nicht gefällt machen wir – also ihr – halt nochmal von vorne. Und dann besorg‘ dir einen Timeslot & Rechenpower bei Baselight und leg mir mal einen Filmkorn-Look darüber. Nur weil ich Bock hab, das mal zu sehen. Oh, und komm‘ mir nicht mit so einem langweiligen U-Crane-Film nach Hause, ich will crazy Transitions, ungesehene Kamerafahrten und einen superedelen High End Look.“ Hach, ich wollte schon immer mal wie ein Agenturkreativer sprechen, vor Jarvis muß ich mich ja nicht schämen für Plattitüdengewitter, ist ja nur Software.

1 Stunde später: „Naa, zu viele Wide Shots, der Kunde braucht noch CloseUps von den folgenden 3 Car Features, mach nochmal. Und vergiß‘ das mit dem Filmkorn-Look aus Baselight, gefällt mir nicht. Sprich mal mit Resolve, ob derdiedas nicht sowas in Richtung Chungking Express Look anbieten kann.“

Und was, wenn unser aller SCOPE Kalkulationsprogramm demnächst ein ChatGPT Plugin anböte, und ich Jarvis zurufen könnte: „Kalkuliere mir doch einen Margarine-Film in Kapstadt, 2 Drehtage, mittleres Preissegment, 5 Happy-Family-Darstellerinnen aus Deutschland wegen deutschem Dialog, Styling & Production Design von vor Ort, aber anspruchsvolle Regie, für die Post nur Schnitt, Grading und 1 Tag Tonmischung, bittesehr“?

Ja, was dann? wie es so schön bei „Peter & Der Wolf“ heißt.

*Danke an Rex Woodbury für die JARVIS Idee & tonnenweise input, abonnieren dringend empfohlen!

Japanischer Freelancer mit 5 Buchstaben?

„Ronin“ heißt ein ehemaliger Samurai, der keinen Dienstherren, und damit auch keinen Job hat, ein drifter, ein Streuner (wörtlich im Japanischen: 浪人: „Wellenmann“). Eine unmögliche Person, für viele Jahrhunderte das Schreckbild eines aufrechten Samurai eigentlich. Aber was müssen wir da bereits im Jahr 1710 in Tsunetomo Yamamotos „Hagakure“ lesen, einem der Standardwerke über das Selbstverständnis des Samurai?   

“People think that nothing could be worse than being a Ronin; and that, if dismissed from duty, it must crush the spirit and lead to a loss of incentive. Yet, when I was a Ronin, I found it was not at all that bad. It was different than what I expected, and to be honest, I wouldn’t mind being a Ronin again.”

Noch ein Jahrhundert zuvor, zu Beginn der Edo Periode, wäre das eine recht frivole Perspektive auf das Thema Arbeitsplatzverlust gewesen, die sich ein Samurai wie Yamamoto nur deshalb leisten kann, weil er unter dem Nabeshima-Clan diente, der entgegen der traditionellen Gepflogenheiten auch Ronins wieder zu Samurai machte. Für die Mehrheit der Clans unter dem Tokugawa Shogunat war das nach wie vor undenkbar: einmal Ronin – immer Ronin. Nach alter Tradition konnten Ronins nie wieder einem andern Herren dienen. Es gab Heerschaaren zwangsweise zu Ronin gewordener Samurai, die nur deshalb ihren Job verloren hatten, weil ihr Daimyo in einem der unzähligen Kriege sein Leben verloren hatte, Ronins, die sich in Ermangelung anderer Möglichkeiten als Banditen durchschlugen, blutige Roninaufstände etc. Unpraktischerweise erlaubte das starre Kastensystem der frühen Edo-Zeit nämlich auch nicht, daß Ronin Bauern oder Handwerker wurden, Umschulen war nicht.

Die verbreitete gesellschaftliche Erwartungshaltung gegenüber einem Samurai, der seinen Job verloren hatte, war demensprechend, dass er doch bitte sepukku begehen möge, die rituelle Selbsttötung mittels Bauch Aufschlitzens. 

Relativ extreme Erwartungshaltung, dass man sich entleibt, wenn der Arbeitgeber abtritt, sag ich mal: was für eine beknackte Definition von Loyalität! Und wie unökonomisch, gesamtgesellschaftlich gesehen, ständig einen Teil seiner Workforce auszulöschen oder in die Illegalität zu treiben. Mag ja ganz gut gegen die innere Kündigung helfen, aber geht’s vielleicht auch ‘ne Nummer kleiner? Haben die Japaner auch irgendwann als Gesellschaft verstanden, dass man sich das nicht leisten kann auf Dauer, wie es sich schon im obigen Hagakure-Zitat zumindest als „Ich hab da mal ‘ne ganz unkonventionelle  Idee“ ankündigt.

Spoiler alert: Uneingeschränkt ist das Hagakure nicht zu empfehlen als Producerlehrgang, es ist pickepackevoll mit jeder Menge schwer verdaulichem Altherren-Gerumpel á là „Gähnen in der Öffentlichkeit ist vulgär!“, aber es ist erstaunlich unterhaltsam zwischendurch. Und vor allem wirft es – vielleicht gerade weil es kulturell und zeitlich so weit weg ist – tatsächlich immer wieder die Frage auf, wie das denn bei uns so funktioniert, bei den festen Producern, den Festen Freien, den Freelancern, den Permalancern und unseren Daimyos, den Produktionsfirmen? Wem schulden wir denn nach dem uralten Producerkodex Treue, Loyalität, Gefolgschaft? Darauf wird es für jede Art Producersamurai die unterschiedlichsten Antworten, unterschiedliche individuelle Schwerpunktsetzungen geben.

Es soll ja Producer geben, die wirklich und wahrhaftig an guter Werbung interessiert sind, an guten Werbefilmen im Besonderen. Der Beak Street Bugle hat mal behauptet: “You’ve got more chance of making a good film with a good producer and a bad director than the reverse”. Egal ob das stimmt oder nicht: Es gibt Producer, die das glauben, und die Einiges bis Alles für einen guten Film geben.

Viele fühlen sich tatsächlich diesem Job, seinen Gepflogenheiten, seinen ungeschriebenen Regeln verbunden, zu denen thank goodness nicht das Bauchaufschlitzen gehört: „This is how we do it“, Standesehre, Berufsethos, das gibts hier tatsächlich, wenn auch eher verdeckt, gern in subtilen, quirky Ritualen: „Don’t Jinx it!“ zu sagen, wenn jemand sich so verhält, als wenn der Job schon da wäre, bevor er WIKRLICH da ist, beispielsweise.

Und dann das Projektgeschäft im Speziellen: ein gemeinsames Verständnis herrscht unter vielen Produzierenden, dass das Projekt, welches auch immer es grade sei, fertig werden MUSS, und nicht nur von alleine und irgendwie, sondern in time, mit aller verfügbaren Energie und so (kreativ, finanziell, karmamässig) gut wie irgend möglich. Das reicht vielen als Selbstdefinition. Für einige ist das eine Zwischenstation auf dem Weg, selbst ein Daimyo zu werden, für viele die ich kenne, ist das schon genug: ein guter Producer zu sein.

Manche fühlen sich nach alter Samurai-Sitte gebunden an ihren Daymio, den Menschen, der/die die Company gegründet hat, für die sie schaffen. Nachdem das hier grundsätzlich very personal business ist – keine Produktionsfirma mit einer Ausnahme besteht in Deutschland aus mehr als 30 Leuten – ist das erfahrungsgemäß weit verbreitet.

Für wieder andere geht’s um den Clan, die Posse, die Verbündeten, die Mitstreiter, der Mikrokosmos der Peoples, mit denen man Projekte wuppt. Only crew love is true love!

Oder ist es das Geldverdienen? Soll ja ab&zu stattfinden habe ich raunen hören, und es soll Producer geben, die das ganz besonders gerne machen und stolz darauf sind, aus einem Projekt möglichst viel rauszuholen für den Daimyo und für sich selbst am Ende auch, natürlich.

Auch wenn wir nicht das englische System der personal producer haben:  viele fühlen sich als „Regisseur XYZ’s Producer“. Kenn ich, kann ich nachvollziehen, macht auch eine Menge Sinn, auch wenn das in diesem schnelldrehenden Business, in dem Regisseure und Producer regelmäßig rotieren, oft schwer herstellbar und durchhaltbar ist

Die Loyalitäten gegenüber all diesen unterschiedlichen Faktoren können friedlich in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen in einer Producerpersönlichkeit koexistieren, sie können aber auch miteinander kollidieren, und das kann dann auch mal scheppern und wehtun.

Yamamoto wollte per sepukku seinem Chef nach dessen Ableben ins Nirwana folgen, angeblich aber DURFTE er nicht. Naaaaaa, bin ich hier der Einzige, für den das ein wenig zu convenient klingt? Ganz vielleicht war er ja auch froh, daß er selbst, dessen Philosophie sich zu 90% um Todessehnsucht und Diensteifer bis zur Selbstaufopferung drehte ohne daß er selbst jemals in den Krieg gezogen wäre, nicht am Ende die Konsequenzen seiner eigenen Ausführungen ausbaden mußte, und stattdessen ins Kloster abtauchen konnte.

Wie auch immer – das Ausschlachten seiner blutrünstigsten Weisheiten überlasse ich gern schmierlappigen Motivationsseminarleitern und entlasse uns alle stattdessen mit einem doch sehr Werbefilmproduktions-kompatiblen Ratschlag:

„Man kann keinen guten Dienst leisten, wenn man von anderen nicht gemocht wird. Niemand kann einen Mann hassen, der sich darum bemüht, nützlich zu sein, der seinen Dienst liebt, sich dafür anstrengt und allzeit bereit mit seinen Weggefährten arbeitet.“

What’s your baseline?

Nichts ist schwieriger als ganz hinter seiner Arbeit zu verschwinden, neutral zu sein beim Kalkulieren. Auch wenn er sich in Excel herstellt / aufbaut, ist ein KVA natürlich nie ein rein rationales, formelbasiertes Produkt, sondern in die Gesamtsumme fließen immer auch die Grundannahmen, aber auch die Gestimmtheiten des Produzierenden ein. 

Du findest, das Business ist als Ganzes überkompliziert, von Sicherheitsdenken gelähmt, das geht doch auch anders, hemdsärmeliger, mal mit „Fünfe gerade sein lassen“ und „Mut Zur Lücke“? Oder bist du eher der Ansicht, dass unsere Crews besser bezahlt werden müßten, wir natürlich sowieso, daß Agenturen und Kunden grundsätzlich die Produktionen übervorteilen und mithilfe der Pitchkonkurrenz zwingen, immer unangemessen billig anzubieten etc. pp. Dann wirst du jeweils deutlich anders kalkulieren, auch wenn du haargenau dieselbe Software dafür benutzt.

Stellt Euch vor, es gäbe endlich eine AI, die uns überflüssig macht: Ihr schubst oben ein Agenturscript oder ein Regie-Treatment rein, und unten kommt eine Zahl raus, Feierabend. Klingt lächerlich? Wartet’s mal ab…. Ich will aber grade gar nicht in die Diskussion einsteigen, wann denn unser Job von einer Kalkulations – AI erledigt werden wird und ob das gut oder schlecht ist. Ich finde nur die Perspektive hilfreich als Hypothese: daß es so etwas wie einen objektiv ermittelbaren Preis, eine BASELINE gibt.

Ich will auch die beiden oben skizzierten Grundgestimmtheiten nicht diskutieren oder gegeneinander abwägen. Ich will nur den Punkt machen, daß sie beide im Kalkulationsprozeß ihren Platz finden können, aber erst nachdem wir uns jede Mühe gegeben haben, eine objektive Baseline zu etablieren.

Der Prozeß der Preisfindung ist also – nach der Fact Finding Mission, die die Basics zusammenträgt  – idealerweise ein zweistufiger: 

  1. Was ist unsere Baseline? Was würde das objektiv kosten?
  2. Von welchen Zielen, Grundannahmen, Biases, Extrawünschen, Politics etc. lassen wir diese Baseline modifizieren?

Die objektive Baseline mag eine Fiktion sein, die für immer unerreichbar bleiben muß, aber sie ist eine hilfreiche Fiktion. Ohne sie verlieren wir viel zu schnell den Überblick darüber, was wir eigentlich kalkuliert haben: Die harten Fakten, oder – bis zu welchem Grad, mit welchem Anteil? – unsere eigenen Biases, Wünsche etc.

So, und wenn wir das geklärt haben, dann sind wir bereit für Stufe 3: Die Verhandlungen mit Agentur, Kunde, Cost Controller, Einkauf und all den anderen, die da nochmal einen ganz eigenen Blick drauf haben als wir…

On To The Next One!

Film ist time based art, was für unsere Werbefilme ja auch bedeutet: sie sind schnell, kurz, und schnell wieder weg. Könnt ihr Euch noch an den Superbowl TV Spot von letztem Jahr erinnern, wo… nein? Ich auch nicht. 

Sehr gut hingegen erinnern kann ich mich an einen Spot über einen Postboten, der einen Riesenalarm veranstaltet, um nur einen einzigen Brief zu delivern: Hundertschaften von Kollegen marschieren mit, Flugzeuge und Helikopter verdunkeln den Himmel, und wenn er dann endlich seinen Brief eingeworfen hat, sagt der englische Darsteller als wär nichts gewesen: „On to the next one“. Im Deutschen dann, gedubbt und wie immer nur halb so stark: „Auf zum Nächsten“! Weil ich ihn produziert habe, nicht weil er so wahnsinnig merkenswert gewesen wäre.

In Wahrheit war das natürlich nichts als eine mühselig kaschierte Metapher auf das Werbefilmschaffen an sich. Man kann sich da wochenlang reinfräsen, man bläst in ein paar Tagen ein paar hunderttausend Euro in die Luft für 60 Sekunden fertigen Film, man kann leiden wie ein Hund, aber auch Spaß haben wie Gott in Frankreich (außer wenn man in Frankreich produziert). Aber das Schöne und das Schreckliche zugleich ist: All das ist doch sehr endlich. 

Wer diese Flüchtigkeit, das Serientäterhafte daran nicht mag, der sollte sich was anderes suchen. Noch alle Musikvideodirektoren die ich getroffen habe, waren heimliche Spielfilmregisseure. Das hat ihre Musikvideos nicht unbedingt immer besser gemacht. „Oh shit, der Künstler muß ja auch noch drin vorkommen, na, kriegt er halt eine Nebenrolle in seinem eigenen Musikvideo, das ja eigentlich mein Kurzfilmprojekt ist.“ 

Mir persönlich kommt das ja sehr entgegen. Das ist ein wenig wie Sylvester: um Mitternacht gehen alle raus, böllern ein bißchen und lassen bunte Raketen steigen, das macht dann kurz Spaß, aber dann reichts auch schnell wieder. Natürlich können wir beim Werbefilm nicht ein Jahr Pause zwischen zwei Projekten machen, aber der Vergleich ist trotzdem nicht so weit hergeholt.

Ich hab mal ein ganzes Jahr lang eine Show geprept, die dann 4 Wochen vor Aufführung abgesagt wurde. 13.000 Darsteller durch einen selbstausgedachten Castingprozeß geschleift, hurgh. Viel schlimmer als die Absage fand ich aber, wie lange die Vorbereitung gedauert hat. Wahnsinnig zäh, das Ganze. 

Wie viel Vorbereitungszeit ist denn ein 60sekünder wert? 10 Tage, wenn ich in meinem KVA die Producertage anschauen, die ich da so im Schnitt kalkulieren darf. Reicht meist nicht, real braucht’s ja gern mal das Doppelte, aber irgendwas dazwischen fühlt sich richtig an: zwei-drei Wochen, dann ist der Fisch geschrubbt! Okay, noch etwas Post Pro, aber dann ist auch gut gewesen. Ab auf den Sender damit, und dann: On To The Next One!

No rain, no rainbow

Wetter? Wirklich? Ja: Wetter. Wetter schmeißt gern mal alles durcheinander und legt dann für alle die Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen offen, die sonst immer im Selbstverständlichen und Routinierten so vor sich hinfunktionieren. Dann nämlich, wenn es auf einmal und mit einem sechsstelligen Betrag an Mehrkosten im Nacken um die Frage geht: drehen wir jetzt weiter und versuchen, alles zu schaffen, oder brechen wir ab und es gibt einen Wettertag?

Da müssen wir dann auf einmal seeeehr förmlich werden, denn die Entscheidungen in der Sache können nicht warten, sie müssen getroffen werden, aber bitte auf Basis der richtigen Informationen, in der richtigen Reihenfolge und von den richtigen Leuten. Aber wie genau? 

Für die Info stellen wir sicher, daß wir möglichst schon vorab eine allgemein akzeptierte Autorität in Sachen Wetter etabliert haben – gar nicht so einfach je nach Drehland, zumal dann jede/r im Ernstfall noch die Alternativmeinung auf vier verschiedenen Wetterapps parat hat. Also Erstens: „Wer ist in meinem Drehland die anerkannte Wetterautorität? Was sagt die?“

Zweitens: Was ist unser Alternativszenario? „Wir treffen uns morgen früh wieder und versuchen den Rest zu drehen? Wir brechen für ein paar Tage ab und suchen einen anderen Drehort? Wir machen den Rest im Studio vor Grün?“ Dabei darf man gerne schonmal die Agentur mit einbeziehen. Und wenn das steht, holt man sich Drittens den Kunden dazu und bittet ihn um eine Entscheidung: Abbrechen und Überstunden vermeiden und das Alternativszenario aktivieren, oder weitermachen in der Hoffnung, daß man doch noch alles in den Kasten bekommt? 

Manchmal ist ein Abbruch alternativlos – so wie neulich im Hochsommer, als ich am Set auf freiem Feld stand und im Vordergrund die Gripjungs eine 6 Meter hohe Plattform für einen Topshot aufbauen sah, alles sehr professionell und aus bestem deutschen Aluminium, während im Hintergrund sich eine fette Gewitterfornt näherte. Ich hatte schon so eine sehr konkrete Vision davon wie ein einziger Blitz rund 300 Komparsen samt Team auslöscht… trotzdem habe ich dem Kunden das Gefühl vermittelt bekommen, daß eigentlich ER den Dreh abbricht, nicht Thor, der Donnergott. Und schon gar nicht ich. Nicht mein Job.  

Ein Wettertag ist ja grundsätzlich ein Problem des Kunden, wie wir alle wissen, und wie es allgemein akzeptierte Praxis ist. Das bedeutet aber nicht, daß das auch alle Agenturleute, erst recht nicht alle Kunden wissen, und darum schadet das gar nichts, da auch nochmal casually drauf hinzuweisen vorab, gern auch im PPM: „E-U-E-R Script sieht ja einen Außendreh vor. Wir werden eine möglichst wettersicheren Drehort vorschlagen. Das Wetter aber können wir nicht beeinflussen. Mehraufwand für einen Wettertag versuchen wir so klein wie möglich zu halten, werden ihn aber weiterberechnen müssen.“

Wenn es dabei große Augen auf Kundenseite gibt, sollte man sich den Agenturproducer zur Seite nehmen und ihn darauf hinweisen, daß er in der Sache doch bitteschön noch vor dem Dreh für Einsicht auf Kundenseite sorgen möge, damit die an ihrem Ende auch das Wissen in der Sache auf die entscheidenden Ebenen weitertragen und im Ernstfall schnell & kompetent & mit der nötigen Rückendeckung reagieren können. Nichts schlimmer als ein Kunde am Set, der in der Sache erstmal die MarketingsChefin anrufen muß…

Ich hatte mal einen Kunden, dessen Rechtsabteilung uns nötigen wollte, das Wetterrisiko als Produktion zu übernehmen, woraufhin wir ausschließlich Indoors Filme für ihn produziert haben. Geht halt nicht anders: so ein Wettertag kann dir schnell mal das Doppelte Deines MarkUps auffressen, dieses Risiko ist für eine Produktion im Ernstfall existenzbedrohend. Abgesehen davon ist es allgemein verbreiteter Konsens, daß wir als Produktion das Wetterrisiko ja nicht heraufbeschworen haben: Das kaufen die Kunden quasi mit ein, wenn sie sich für einen Außendreh entscheiden. Muß ihnen nur jemand (auf Agenturseite…) auch so sagen.

Auch könnte der Kunde sich eine Wetterversicherung leisten, die alles versichert, was man sich in Sachen Wetter so vorstellen kann: „Wir zahlen einen Wettertag, wenn an mehr als 5 Stunden am Drehtag der Himmel zu 80% bewölkt ist“. Geht. Machen die. Will nur keiner mehr bezahlen, und inzwischen kostet ja oft schon die Angebotslegung einer Wetterversicherung Geld (Hmm, sollten wir uns als Produktionen im Pitch vielleicht mehr an den Wetterversicherungen orientieren und eine Pitchgebühr verlangen? Hmmmm….).

Ich halte mich da mit Empfehlungen gern sehr zurück: Ich weise Kunden auf die Möglichkeit einer Versicherung hin und sage die Kosten dazu, Schlußaus. Habe aber tatsächlich jahrelang nicht mehr erlebt, daß das passiert – die Kunden nehmen lieber das Risiko eines weiteren Drehtags auf sich, als einer Versicherung vorab 20, 30tausend Euro in den Rachen zu werfen dafür, daß sie gegebenenfalls die Mehrkosten für einen Schlechtwettertag übernimmt. 

Kunden und Agenturen reden sich das gern mal schön aus der Ferne und vorab, wenn’s nicht grade um Margarinewerbung und Heile-Welt-Filme geht und sagen: „Ach so’n bisschen Regen macht uns nichts, das machts vielmehr so toll authentisch“ etc. 

Aber wir sind dann für die lästigen Details zuständig: Findet ihr es auch so toll authentisch,  wenn die Darsteller nasse Haare und blaue Lippen haben? Wenn das Tageslicht komplett wegsuppt und alles nicht nur authentisch, sondern nach Castrop Rauxel im Frühnebel aussieht? Wenn man nicht mehr mit Ton drehen kann, weil’s prasselt? 

Wir drehen halt keinen Dokfllm – wenn’s in einer Werbung regnet, dann ist das nicht bei schlechtem Wetter gedreht, dann hat einer die Regenmaschine dafür angestellt. Wenn das alle gern in Kauf nehmt, let’s do it, ich verteile Regenmäntel, ich bin ja im Service. Aber wie gesagt: dazu gehört es auch, euch die Details vorher einmal vorzuturnen und eine wettersichere Alternative vorzuschlagen.

Ihr Producerhasen wißt ja alle auswendig, wofür Zeile Nummer 7.319 unter „Location“ im Kalkulationsformular vorgesehen ist, die ihr nie mehr ausfüllt. Richtig: Wetterberichte. Weil es mal Wetterberichte vom Deutschen Wetterdienst exklusiv gegen Geld gab. Per Fax. Jetzt gibts -zig Apps, und die sagen meist alle was anderes. Das bedeutet, es hat mal eine eindeutige Autorität in der Wetterfrage gegeben: man hat auf Basis des DWD Berichts entschieden, fertig. Die Entscheidungsstrukturen waren also sehr überschaubar: 

„Drehen wir heute oder sagen wir wegen Schelchtwetters ab?“

„DWD sagt Unwetterwarnung, Sturmböen, Gewitter, Starkregen.“

„Wir sagen ab.“

Heute gibt’s bei 100 Leuten am Set 150 Wetterapps mit 200 unterschiedlich interpretierbaren Daten. Die Entscheidungsstrukturen möchte ich lieber gar nicht illustrieren… „Ich hab auf WINDFINDER aber was anderes gelesen“ etc… Ein klassischer Deadlock. 

Bei einem Dreh in Deutschland habe ich deshalb mal „Unseren Mann Im Tower“ erfunden. Genauer gesagt war ich das gar nicht, zumindest nicht allein. Den hat sich die Agenturproducerin eigentlich selbst eingebrockt. Sie fragte nämlich, ob ich nicht einen heißen Draht zum Flughafen hätte, sie hätte auf dem letzten Projekt über die andere Produktionsfirma immer Infos DIREKT aus dem Flughafen-Tower bekommen. In Wahrheit hab ich nur „Na klar, kein Problem“ gesagt, weil ich nicht schlechter aussehen wollte als die Konkurrenz; als sich dann aber herausstellte, daß eine solche Leitung gar nicht herstellbar war (wahrscheinlich hatte sie die andere Produktion auch einfach frei erfunden…) , konnte ich nicht mehr aussteigen aus dem Spiel. Ich habe mir also auf Basis des DWD Wetterberichts meine Meinung gebildet und dann jeweils verkündet, der Flughafen-Tower hätte dasselbe gesagt. KLASSISCHER Fall von „Autorität etablieren“ (siehe auch oben unter „Erstens“). Damit konnte ich dann alle nervösen, appbasierten Drama-Nachfragen zum DWD Wetterbericht wegwischen und diverse begründete Entscheidungen rechtfertigen. Ist gutgegangen, Thor sei Dank. 

Womit ich nicht dazu aufgerufen haben möchte, daß Ihr ab jetzt mit ausgedachten Geschichten euch Autorität anmaßen sollt, die ihr nicht habt. Es reicht eigentlich, wenn ihr Entscheidungen auf Sachbasis herbeiführt und sie dann auf der etablierten Kommandokette Kunde / Agentur / Produktion dramafrei durchdekliniert, ganz normales Producer-Business eigentlich.

Und immer an die alte Producerweisheit denken: „Hope for the best, prepare for the worst!“