Gatekeeper ohne Gates

Mit einem befreundeten Musikproduzenten habe ich neulich über suno.ai gesprochen, ein Tool, das auf spektakuläre Weise aus Prompts Musik mit Text macht oder deine selbstgeschriebenen Texte vertont. Probiert das unbedingt aus, kleiner Tipp: „90ies hair metal power ballad“ geht immer.

Das Gespräch endete wie eigentlich jedes Mal: Mein Freund fand, die erzeugte Musik sei noch relativ generisch, und das läge ja wohl daran, dass es viel einfacher wäre, mit AI Filme zu machen, da ginge das ja bereits. Worauf ich wie jedes Mal antwortete, das sage er immer, und das läge schlicht daran, dass er sich mit Musik besser auskennte, und ich mich mit Filmen: Aus unserer jeweiligen Profiperspektive sähen wir in unserer jeweiligen Disziplin noch die Defizite von AI; in den Nachbardisziplinen aber schon nicht mehr so richtig.

Was wird hier eigentlich verhandelt, und warum führe ich mit vielen Profis ähnliche Gespräche? Mein Verdacht: Hier geht es um unsere eingebildeten oder realen Fähigkeiten als Distinktions-Profis. Wir halten uns für diejenigen, die wissen, wie state of the art Bewegtbildproduktion geht, und wir rufen um so lauter DAS IST NICHT GUT (GENUG) je mehr wir sehen, wie das aufholt und immer besser wird. Teil unseres Tagesgeschäfts ist es ja auch immer wieder, uns als Gatekeeper zu betätigen: unseren Beurteilungsvorsprung zu verteidigen, indem wir sagen was gut ist und was nicht und indem wir uns als diejenigen anbieten, die über den heißesten State Of The Art Scheiß verfügen, gebieten, ihn anbieten können. Und nichts macht einem Gatekeeper mehr Feuer unter dem Hintern als wenn er etwas aus der Ferne herangalloppieren sieht, das potenziell jede/n da draußen zu einem Profi machen könnte in unserem ureigensten Home Turf, wenn er sieht, dass sich um ihn herum die Mauern auflösen und es vielleicht bald gar kein Gate mehr zu keepen gibt.

Beim Angriff von Social Media auf unsere Budgets konnten wir uns zum Troste immer noch sagen: „Ha, die schmarotzen doch an den von uns mitdefinierten visuellen, erzähltechnischen etc. Standards; und wenn sie so gut werden wollen wie wir, dann müssen sie nach unseren Regeln antreten, und da sind wir halt besser, harr-harr!“. Egal ob das stimmt oder nicht, und egal ob das im SoMe Kosmos jemanden interessiert (zweimal nein, übrigens), für einen Gatekeeper ist das ein irgendwie tröstlicher Gedanke. 

Aber wenn sich die AI Tools so weiter entwickeln, wie sich das abzeichnet, dann passiert da weit mehr, als daß irgendwelche SoMe Creator mit Selfies eigenen Content erzeugen und Zuschauer-Aufmerksamkeit und Kundenbudgets abgreifen; dann kann bald jede/r mit 10 Euro im Monat für ein Dischord Abo Bewegtblid produzieren, das auf unserem Niveau mitspielt. 

DARUM geht es in all diesen Gesprächen.

Oder?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert