Personal Business

Für mich ist Produzieren ja immer so weit wie möglich Personal Business. Sonst hätte ich auch zur Volks- und Raiffeisenbank gehen können im C&A Anzug und Exceltabellen schubsen den lieben langen Tag. Hmmm, Moment, Excel mache ich hier auch ganz schön viel… Und nichts Grundsätzliches gegen C&A Anzüge, habe selbst mal einen getragen als ich meinen Ersten Echten Job bei einer Produktionsfirma angetreten hab: Ich hab gedacht „Alter, jetzt bist du im Management, du MUSST einen Anzug tragen.“ Nur um dann am Empfang von der Praktikantin (Iro und Dock Martens etc.)  verachtet zu werden. Looking at you, J.! Ich weiß noch 25 Jahre später daß du das warst – Personal Business halt! Ich kann zu meiner Verteidigung noch vorbringen, daß der Mann, der mich eingestellt hat, auch ständig so komische Sakkos anhatte. Ich hab dann schnell eingesehen, daß das mit den Sakkos nirgendwo hin führt, aber hier soll’s ja gar nicht um Sakkos gehen, sondern:

Ich illustriere mal, was ich mit Personal Business meine. Stellt Euch vor, ihr habt eine tolle Erfahrung mit einer Post Production gemacht. Und auf dem nächsten Job brennt es mal wieder, seeehr post lastig, seeehr schwer jemanden zu finden, dem man das überhaupt anvertrauen kann. Ganz klar was ich dann mache: Ich rufe schnell bei (nennen wir sie) der Post Producerin Caren an, weil das beim letzten Mal so gut geklappt hat. Allein, daß ich nicht denke: Lass mal schnell „Posthaus XYZ“ anfragen, sondern „Lass mal schnell Caren anfragen“ sagt uns: It’s Personal. Caren sagt auch gleich: „Na klar, lass uns das folgendermaßen angehen, a,b,c, ich kalkulier dir schnell was.“ Und dann wird Caren krank und übergibt das einer Kollegin. And then it all goes downhill.

Erste email von der Vertretung: „Haben wir uns angeschaut. Kannst du uns noch mehr Info geben dazu, was ihr in camera löst und was nicht pro Szene?“

Okay, fair enough, denke ich. Meine Antwort: „Wie mit Caren besprochen ist das alles noch nicht definiert; wir müssen uns gemeinsam trauen das einzuschätzen und dann versuchen in diesem gemeinsam gesetzten Rahmen zu bleiben. Geht das?“ Will sagen: Ich erwarte von DIR, dass DU dir da eine Einschätzung zutraust, und nicht daß ich alle deine Fragen beantworte und am Ende von ganz allein eine Zahl herauskommt. Daß du persönlich einschätzt, was wir brauchen und ob & wie ihr das delivern könnt. Das ist der personal touch, den ich brauche, um weiterzukommen. Sonst kann ich den Job ja gleich selber mitmachen.

Zweite email: „Kein Problem, wir inkludieren unsere Grundannahmen in das Budget als Ausgangspunkt für eine Diskussion“

Okay, geht doch. So weit war ich mit Caren schon vor meinem ersten Anruf, aber gut. Jeder muß sich ja erstmal eingrooven.

Dritte email von einer weiteren Kollegin, die aus den CC-Tiefen des email-Verkehrs auftaucht: „Gibt es noch eine jüngere Version der DI? Wir brauchen  auch noch clarification in Sachen was wird vom Art Department gebaut und passiert in camera, und was ist CGI?“

Das ist der Moment, an dem ich aussteige. Natürlich weiß ich, das auch Caren nur das Frontend einer insgesamt tatsächlich gigantischen Maschinerie ist in mehreren Städten, das bin ich ja auch oft. Keine One Woman Show, die das alles persönlich delivert, was wir besprechen. Das ist mir aber egal. Sobald ich nämlich wittere, dass sich eine Post Producerin nur hinter ihren general procedures verbarrikadiert, damit auch ja keiner einen Fehler macht, habe ich schon keine Lust mehr. Das wird dann so weiter gehen, das ganze Projekt über. Und meist wird dann auch noch so viel Safety Buffer einkalkuliert, daß es sowieso unbezahlbar wird.

Daß man jemand wie Caren findet, auf Post Production Seite, aber auch auf Produktionsseite, ist ja selten. Aber warum? Weil Personal Business für alle Producer immer ein Drahtseilakt ist, den sie nie selbst zu 100% kontrollieren können. Schaun wir uns mal die schlechteste aller outcomes dieses Drahtseilaktes an. Ich habe schon Producer brutal scheitern sehen, weil in ihrer Person und ihrer Performance zu oft Coporate Culture / Corporate Vorgaben kollidiert sind mit ihrem Anspruch, daraus etwas Persönliches zu machen, etwas, worauf alle Bock haben, wo etwas Tolles herauskommt, wo keiner verarscht oder verfeuert wird. Wer kennt nicht jemanden aus der Produktion, der immer gut gelaunte Performance hingelegt hat bis man auf einmal hört „Ja, hmm, ist jetzt leider erstmal raus, burnout und so“.

Mein Verdacht: die konnten in ihrem täglichen Handeln nicht zur Deckung bringen was sie gern delivert hätten und was die Company, für die sie gearbeitet haben, delivert hat oder ihr/ihm erlaubt hat zu delivern – oder sie gezwungen hat einzufordern. Ich glaube auch, in dieser Branche werden zu viele Leute einfach laufen gelassen, die nicht gut genug auf sich selbst aufpassen (können); man nimmt die Vorteile von deren persönlicher Performance gern in Kauf und setzt ihnen zugleich oft Business Realitäten hin, die sie auf Dauer nicht bedienen können. Wenn dir das als Producer ständig passiert bist du einfach irgendwann durch. Das kann daran liegen, daß du es selbst zu schlecht einschätzen & managen kannst; aber auch daran, daß es in bestimmten Arbeitsumgebungen einfach grundsätzlich zu schlecht einschätzbar ist. Und ich rede nicht von den täglichen Fallstricken des Projektgeschäfts.

Will sagen, du mußt dir wirklich genau die Corporate Culture angucken in die du dich da reinwirfst schon auf Seiten der Company, für die du antrittst: stehen die für das ein, was du tust und versprichst und moderierst, oder machen sie ganz schnell einen Schritt zurück und verstecken sich hinter irgendwelchen corporate Vorgaben wenn’s mal ernst wird? Kommunizieren sie klar und deutlich, was sie erwarten, was du versprechen darfst und kannst, und wie verläßlich sie selbst delivern, was sie dich versprechen lassen?

Und du mußt ein wenig haushalten mit deinem Anspruch, Personal Business zu machen, weil es eben nie nur personal sein kann, sonst trägt es dich als Person irgendwann aus der Kurve.

Natürlich ist es auch immer eine Frage der Perspektive: wenn ich selbst von jemandem Leistung abfrage – einer Post Production, einer Servcie Production Company – hab ich’s gern so personal wie möglich, dann will ich Verbindlichkeit herstellen nicht nur durch irgendwelche Verträge, Unterschriften etc., sondern dadurch, daß mir jemand verbindlich das Gefühl vermittelt, daß ich von ihm das bekomme, was ich erwarte.

Wenn ich dagegen selbst Leistung erbringen soll – gegenüber einer Agentur, einem Kunden – dann kenne ich auch die Tendenz, sich hinter der Company und hinter „business as usual“ Procedures zu verstecken, weil das ja auch viel Druck wegnehmen kann von dir selbst: „Ich würd’s dir ja gern genau so anbieten, aber WE DON’T DO THAT HERE“. Aber das fühlt sich meistens falsch an.

Man könnte vielleicht sagen, die große Kunst der Producer ist es, daß sich das Business „personal“ anfühlt und dabei trotzdem soliden Business Standards genügt. Und das eben nicht nur bei der Vakoofe – da kann jede/r geschmeidig und heiter sein, sondern das muß belastbar sein & bleiben das ganze Projekt über bis zum fertigen Master.

Commercial Culture Clash, pt. 2

Schaun wir nochmal auf diesen tollen Clay-Shirky-Post, den melke ich jetzt noch für 5 weitere Beiträge, macht Euch drauf gefaßt:

„Mitte der 90er Jahre baten mich Freunde bei AT&T, ihnen zu helfen, das aufkommende Webhosting-Geschäft zu verstehen. Sie dachten, dass die berühmte „fünf 9er“-Zuverlässigkeit von AT&T („Dienste, die 99,999 % der Zeit funktionieren“) dabei hilfreich wäre, aber sie konnten einfach nicht verstehen, wie 20 Dollar pro Monat, der damals übliche Preis, die Kosten für gutes Webhosting decken könnten, geschweige denn einen Gewinn abwerfen.

Ich beschrieb ihnen das Webhosting, das ich benutzte, und die Praxis, Websites lokal zu entwickeln, sie hochzuladen und dann zu überprüfen, ob etwas nicht funktionierte. „Aber dann änderst du ja Dinge auf der Live-Site!“ Das erklärten sie mir in einem Ton, in dem man kleinen Kindern erklärt, warum man kein Bleichmittel trinken sollte. „Oh ja, es ist mies“, sagte ich. „Manchmal stürzen die Server ab, und wir müssen von vorne anfangen.“ Am anderen Ende der Leitung herrschte eine lange Stille, wie sie für Telefonkonferenzen typisch ist, wenn eine ganze Gruppe innehält, um nachzudenken.

Die AT&T-Leute hatten richtig verstanden, dass die Einnahmen von 20 Dollar pro Kunden nicht für ein gutes Webhosting reichen würden. Was sie nicht verstanden hatten, ja, was sie aus professioneller Perspektive nicht in der Lage waren zu verstehen, war, daß die erfolgreiche Branchenlösung schlicht darin bestand, eine Leistung anzubieten, DIE NICHT BESONDERS GUT WAR.

Für die AT&T-Leute war das nicht so sehr deprimierend als vielmehr verwirrend, das war kein Markt, in den sie einsteigen würden: nicht weil sie nicht WOLLTEN, sondern weil sie es nicht KONNTEN.

Es wäre leicht, das kurzsichtig zu nennen, aber das würde die Bedeutung ihrer professionellen Kultur ignorieren. Ein ganzes Jahrhundert lang hat AT&T auf Qualität gesetzt – die betreiben ihr eigenes Stromnetz, um auch bei öffentlichen Stromausfällen einen Wählton zu haben! Wie die meisten Unternehmen konnte AT&T nicht gleichzeitig gut in einer Sache sein, in der sie gut waren, und gut in der entgegengesetzten Sache. Das Webhosting-Geschäft, das dem Modell „Einfachheit zuerst, Qualität später“ folgte, stellte nicht nur einen neuen Markt dar, sondern erforderte auch neue kulturelle Imperative.“

So. Und jetzt ersetzen wir in dieser Geschichte AT&T durch „Werbefilmproduktionsfirma“ und Webhosting durch „Insta-Filme.“

Derselbe Clash von professioneller Kultur ist nämlich im Gange bei uns Werbefilmherstellern, die immer stärker in der Pflicht sind, sich mit den neuen Formaten auseinanderzusetzen nach dem „Tentpole“-Ansatz: unser Kerngeschäft, der klassische TVC, ist immer noch der Tentpole, das tragende Zentrum einer Produktion, aber darum herum werden zunehmend mehr und mehr kleine Zelte, ganze Zeltstädte errichtet: Making Ofs, Fotoshoots, Social Media Content Units etc., die wir sämtlich mit bedienen dürfen/sollen/müssen. Und zeitgleich ist ein massiver Shift im Gange von Marketing Budgets hin zu den neuen Formaten – angeblich ist 2021 zum ersten Mal in der Geschichte unserer Branche das Volumen an TV Werbespendings ZURÜCKGEGANGEN. Panikknopf drücken bitte JETZT!

Wo genau ist denn jetzt bei uns der Culture Clash? Wir erinnern uns an die Prämisse von Shirky’s Artikel – die Tendenz von komplexen Systemen wie der Werbefilmproduktion, immer komplexer zu werden, und die darin eingebaute Drohung, nicht mehr zurück zu können mit der Gefahr, dass Shocktests nur noch zum Kollaps führen können, weil das Runterfahren von Komplexität unmöglich ist oder erscheint.

Das wird uns in aller Deutlichkeit vor Augen geführt wenn wir die neuen Formate mit covern: das geht natürlich nur bei im Vergleich zur TVC-Herstellung massiv reduzierter Komplexität – sonst hätten wir noch 3 PPM mehr und bräuchten das x-fache an Budget. Wir müssen also in unseren TVC-Producer-Köpfen dafür ein paar Gänge zurückschalten um das möglich zu machen. Das ist gar nicht so einfach, hält aber frisch und strahlt ja auch auf das sonstige Produzieren ab, indem man mal wieder öfter sagt (zu sich selbst, zu allen anderen): „Come On. MUSS das wirklich so sein, oder geht das nicht auch ’ne Nummer kleiner?“ Aber das ist nicht der Punkt.

Diverse Werbefilmcompanies haben daraus schon eigene Abteilungen gemacht. Und da wird’s dann spannend: Stell dir vor, in Shirkys Beispiel hätte ein allmächtiger Brötchengeber AT&T dazu verdonnert, zusätzlich zu ihrem Kerngeschäft „Telecom“ noch Webhosting mit anzubieten, auch wenn sie es weder konnten noch wollten, weil es eigentlich ihrer über Jahrzehnte gewachsenen professionellen Kultur massiv zuwider läuft. Stellt Euch dazu noch vor, dieser allmächtige Brötchengeber würde dazusagen: „So, und das ist die Zukunft, die Euer Kerngeschäft auf absehbare Zeit ersetzen wird – Telefonieren ist ja soooo 90er – und deshalb werden wir einen immer größeren Teil unserer Brötchen dahin geben. Und jetzt macht mal!“

Denn genau das ist es, was bei uns passiert. Und es fühlt sich an, als hätten wir gar keine Wahl: entweder wir machen das, oder jemand anderes macht es (und macht perspektivisch immer mehr, und wir immer weniger). Da machen wir es doch lieber zähneknirschend selbst, auch wenn es für uns oft so aussehen mag wie mieses Webhosting aus der Sicht von AT&T.

Ich beobachte dabei zweierlei mit großer Aufmerksamkeit: erstens die Tendenz, die Ansprüche aus der Werbefilmwelt auf die neuen Formate zu übertragen, was ja nur zu verständlich ist: Warum sollte ein High End Autohersteller sein Produkt schlechter aussehen lassen wollen, nur weil es nicht in einem klassischen TVC abgefeiert wird, sondern in einem speziell für Insta hergestellten Format?

Haarig wird das immer dann, wenn versucht wird, sich um die daraus resultierenden Budgetimplikationen zu drücken. Stellt Euch vor, ihr habt im Agentur-Briefing neben dem klassischen TVC eine Passage zu Neuen Formaten, Seite 117. Ihr bietet das an als etwas, das die Social Media Unit parallel zum TVC Shoot schnell, unkompliziert und günstig covert. Warum auch nicht? Steht doch groß „SoMe Content in 9:16 & 1:1“ drüber! Aber plötzlich wird von euch verlangt, dass die Neuen Formate auf Seite 117 von der Main Unit gecovert werden, mit Technocrane, Regie, DP und allem. Dieser Clash von alter und neuer Welt manifestiert sich dann auf einmal sehr konkret in Kosten-Unterschieden von einem hohen fünfstelligen Betrag, und das hoffentlich noch VOR Auftragserteilung, dann kann man nämlich sich noch einigen und die Erwartungshaltungen abgleichen, sprich: Ansprüche runterschrauben, oder Budget raufschrauben.

Und das zweite ist das, was ich gern die „Siehste, geht doch“ Perspektive nennen möchte. Das ist es ja, was die neuen Webhosting Kunden im Shirky-Beispiel garantiert zu ATT gesagt haben: „Siehste, geht doch!“, die Kurzversion von: „Webhosting geht auch für die Hälfte, ich pfeife auf Euren professionellen Ansatz“. Die kenne ich schon aus Musikvideozeiten, wo man jeden Anspruch auf Komplexität, Professionalität, und damit, Oh Gott!, KOSTEN rechtfertigen musste gegenüber einer Kundschaft, die einem tendenziell immer Betrug, Scharlatanerie und Kostentreiberei unterstellt hat (nicht immer zu Unrecht…). Und immer, wenn wieder ein billigst hergestelltes und aussehendes SCOOTER Musikvideo auf Rotation ging, wurde diese Sorte Kundschaft wieder mit diesem triumphalen Satz bei mir vorstellig: „Siehste, geht doch“.

Auch wenn es in der Werbefilmwelt eine größere Professionalität und Wertschätzung von Qualität geben mag, so findet sich doch auf Kundenseite eine vergleichbare Perspektive: „Ja, muß das denn wirklich immer sein?“ Da kannst du noch 100x antworten „Wenn’s gut werden soll, dann ja“. Wenn du aber gleichzeitig für sagenwirmal 10.000 Euro Mehrkosten zum TVC noch zusätzlich diverse Neue Kanäle mit qualitativ hochwertigen Inhalten füttern kannst (weil du musst…), dann sagen sich die Kunden doch auch irgendwann: „Siehste geht doch“ und versuchen, a) immer mehr Zeugs zu den günstigen Bedingungen dazu zu bekommen und b) im schlimmsten Fall fordern sie, dass die Produktionsbedingungen für unser Kerngeschäft sich immer mehr nach den Bedingungen der Beiprodukte gestalten: TVCs zu Insta Content Bedingungen. Und natürlich ist diese Perspektive auch nicht IMMER unberechtigt, weshalb wir natürlich immer uns fragen sollten, ob die über Jahre akkumulierte Komplexität unserer Prozesse wirklich notwendig ist für ein gutes Ergebnis, anders gesagt: wann stimmt es auch tatsächlich, wenn wieder mal einer sagt „Siehste, geht doch!“. Aber als beherrschende Perspektive auf unser Business ist das nicht hilfreich.

Was tun? Was geht denn bei dem Aufeinandertreffen dieser beiden Welten, und was geht nicht? Ich versuch’s mal ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit mit meinen Top 4 Erklärbärsätzen (ein Wort mit 3 „Ä“!) zum Culture Clash zwischen Werbefilme produzieren und InstaContent produzieren:

  1. Wir können Pakete mit günstig zusätzlichem Content nur dann anbieten, wenn nicht gleichzeitig die Produktions-Bedingungen unserer Kernprodukte in Frage gestellt werden. Dann gibt es nämlich irgendwann keine Spill Over Effekte mehr: Wenn ich mir für den TVC keine tolle Location mehr leisten kann, dann wird auch der Insta Content nicht gut aussehen. Also bitte etwas mehr Zurückhaltung an der „Siehste, geht doch“ – Front.
  2. Wir können zusätzlichen Content nur günstiger anbieten wenn wir auch in der Umsetzung mehr Freiheiten haben und sie nicht mit dem selben Kontrollwahn, demselben Micromanagement, Framefucking & Pixelgeschubse herstellen müssen wie einen TVC. Sonst müssen sie halt ganz schnell auch genau so viel kosten wie ein TVC.
  3. Wir können nur ein gewisses Maß an zusätzlichen Formaten zusätzlich covern, ohne daß das Hauptprodukt und die Produktionssicherheit insgesamt leiden.
  4. Das Zusammenrühren schafft nicht nur Synergien, sondern auch zusätzlichen Aufwand für alle Departments, und den muß jemand bezahlen. Da ergibt sich nicht alles einfach von alleine weil wir eh schon alle so lustig beisammen sind und einen TVC drehen: „Ein Making Of…? Kein Problem. Ein paralleles Fotoshoot? Ja, na gut. Noch ein Social Media Team am Set? Knirsch, na gut. 250 Abformate in der Post, die aus all diesen Quellen zusammengepuzzelt werden? Jup, machen wir auch noch.“ Wer kümmert sich denn dadrum eigentlich? Wahrscheinlich ein Producer. Oder zwei. Oder drei. Insgesamt rund 3 Monate lang. Dann kann man aber nicht zugleich immer noch nur 15 Producertage bezahlen wollen wie im Jahr 2001, als wir ein Master eines 20-Sekünders gefinisht haben und damit war Schluß.

To be continued!

Komplexität & Kollaps

Hier ist ein interessanter Beitrag von Clay Shirky über den Clash von neuen und alten Business Modellen im Medienbereich. Eine echte Steilvorlage um sich zu fragen: Was haben wir Werbefilmer mit AOL und ATT gemeinsam, und was können wir tun, um nicht von deren Dinosaurier-Schicksal ereilt zu werden?

Du hast grundsätzlich zwei Möglichkeiten einen Profit zu erzielen, erinnert uns Shirky: Du hebst deinen Profit über deine Kosten, oder du senkst deine Kosten innerhalb eines verfügbaren Budgets so weit, daß was übrig bleibt.

Wie machen wir das? Wir Werbefilmhersteller sind ja grundsätzlich so aufgestellt, daß wir Drittkosten zusammentragen und ein Markup oben draufrechnen, das wir in einer idealen Welt tatsächlich dann auch als Profit übrig behalten (Alle, denen das bei den letzten 3 Projekten in Folge gelungen ist, bitte in die Kommentarspalte eintragen…), also eher Möglichkeit Eins.

Wir neigen dabei dazu, die Tendenz von Kunden und Werbeagenturen zu umarmen zu immer komplexeren, ja byzantinischen Strukturen und Procedures, weil das grundsätzlich in unsere Karten spielt: mehr Arbeit, mehr Drittkosten, mehr Markup, mehr Profit. Wer da mitspielt und immer schön „Ja, gerne!“ sagt, ist kurzfristig im Vorteil, und das nicht nur weil das Serviceorientierung vorspiegelt: „Ja, kein Problem, kalkulieren wir so.“ „Regie aus UK einfliegen? Dreh in LA, weil’s da so super ausschaut? Darsteller-Nutzungsrechte für fünf Jahre weltweit gleich mal vorab einkaufen?  Social Media Team andocken? Ja, Ja, und nochmal Ja!“ Kurzfristig hilft das zwar dem einzelnen Player, weil er, wenn’s die Budgets denn hergeben, mehr Umsatz macht. Langfristig ist das aber für das gesamte Ökosystem brandgefährlich. Warum?

Shirky zitiert Tainters „The collapse of complex societies“*: Was komplexe Gesellschaften wie das römische Reich, die Maya, die USA erschaffen, sind immer komplexer werdende Systeme. Der Catch: wenn es externe Anforderungen an diese Systeme gibt, sich anzupassen, downzusizen, etwa weil natürliche Ressourcen – Holz zum Schiffbau, Korn aus Ägypten, Produktionsbudgets – knapp werden, dann können die nicht einfach wieder einen Gang runterschalten, weil sie das nicht gelernt haben. Gelernt haben sie nur, immer sophisticatedtere Lösungen sich auszudenken. Die legen einfach immer noch eins drauf, verlagern ihre Hauptstadt nach Byzanz, erfinden dort jedes Jahr 300 weitere Beamtenposten mit Aufgaben wie „Kaiserliche Kopfkissenaufschüttler“ – bis ihnen der Sprit ausgeht. Sie kollabieren nicht deshalb, weil sie ZU WENIG sophisticated sind, sie kollabieren weil sie ZU SEHR sophisticated, zu komplex geworden sind.

Anders gesagt, was man eben eher selten hört & liest:

(Cäsar): „Oh, Ägypten hat Lieferprobleme? Kein Problem, dann schaffen wir die Prätorianergarde, die Triumphzüge und die Zirkusspiele halt wieder ab“.

(Werbefilmer): „Ooops, Marketingbudgets zusammengestrichen? Na gut, dann fliegen wir halt niemanden mehr für ein Meeting aus Los Angeles per business class ein. Und für die Fahrszene muss es ja kein Russian Arm sein, die covern wir halt wie früher aus dem VW Bus bei offener Seitentür.“

Stattdessen geht’s doch wohl eher so:

(Cäsar): „Beim Jupiter, kein Korn aus Ägypten?  Da hilft nur ein besonders fetter Triumphzug, auf daß der Pöbel bei Laune bleibt!“

(Werbefilmer): „Zusammengestrichen? Ja, wie soll ich denn mit dem Budget das Auto gut aussehen lassen? Sorry, da sind wir leider raus.“

Vereinfachung wird für uns tendenziell undenkbar & unmöglich, weil alles, was wir täglich praktizieren, tendenziell zumindest das Addieren von zusätzlicher Komplexität bedeutet: Unvorstellbar, daß man noch vor 10 Jahren ein PPM machen konnte, ohne vorher ein PRE-PPM zu machen (Neulich habe ich mit der Agenturproducerin das PPM-Booklet vor dem Pre-PPM durchgesprochen: Mein erstes Pre-Pre-Pre-Production Meeting). Noch unvorstellbarer, daß man Musikvideos drehen konnte ohne vorher ÜBERHAUPT ein PPM zu machen – KREISCH!

Downsizen erzeugt ein massives Unbehagen, ja, Leistungsverweigerung bei denen, die es gewohnt sind, immer mehr Layer an Komplexität zu addieren, schreibt Shirky. Und das stimmt: Ich kann von dem Schock berichten, den ich jedes Mal bekomme, wenn ich mir 10 Jahre alte Budgets anschaue, die ich selbst gemacht habe: „Was? Mit so einem kleinen Team? Mit so wenig Servicebudget haben wir diesen Film gemacht? UN-Friggin‘-FASSBAR!“ Wenn das über Jahre aber immer extremer wird, und dann, um nochmal die Dinosaurieranalogie zu bemühen, ein Meteorit einschlägt, wenn also eine externe Krise (Corona, anyone?) von allen verlangt, runterzuschalten, kleiner zu denken, Abstriche zu machen, dann müssen wir aufpassen, daß uns nicht der Totalausfall als letzte verbleibende Möglichkeit bleibt – Kollaps als die letzte verbleibende Option zur Vereinfachung: „Sorry, dann dreht den Film halt ein Influenzer mit dem Iphone. Bzw mit so einer billigen Android Gurke. Mir doch egal, ich weiß jedenfalls nicht wie wir das stemmen sollen.“

Will nur sagen: Man muß sich einen klaren Blick dafür bewahren was wirklich wichtig ist und was nur aus Betriebsnudeligkeit dazugekommen ist und ständig neu hinzukommen möchte. Was man nur macht, weil die Konkurrenz das auch macht, die gute alte Rüstungsspirale. Oder weil der Agenturproducer sagt daß der Kunde das geil fände. Oder weil mehr Leistung gleich mehr MarkUp. Oder oder oder – Gründe gibt es immer: Natürlich sind das auch die Kunden schuld, die immer mehr Leistung in immer kleinere Budgets quetschen wollen, aber es muß ihnen auch jemand sagen. Das sind wir.

Noch einfacher gesagt: Wer, wenn nicht wir Producer hat, finde ich, die kollektive Aufgabe, mit darauf zu achten, daß eben nicht alles immer komplexer und aufwendiger und teurer wird, und das auch gern regelmäßig anzumerken, und zwar sowohl bei denen, bei denen wir Leistungen einkaufen (eh klar!), aber eben auch bei denen, die Leistungen von uns einkaufen wollen. Reality Check, hallo!

Das ist kein vorauseilender Gehorsam gegenüber Cost Controllern oder jammernden Marketingabteilungen; das verhindert, daß wir ständig Level um Level die Komplexität anheben, bis keiner mehr zurück kann und wir alle kollektiv kollabieren. Das ist sowas wie Branchenhygiene – Selbstschutz für uns als Producer und für die Werbefilmwelt als Ganze.

*Joseph A. Tainter: „The collapse of complex societies“ 1990

Hope for the best, prepare for the worst

Wird schon schiefgehen. Paßt schon. Et hätt noch immer jot jejange, wie der Karnevalist sagt. Oder?

Nee, da machst du nicht mit. Das ist eine Frage der Statistik, irgendwann geht’s mal schief, und rate mal, wer dafür verantwortlich ist, daß es einen Fallback-Plan gibt, wenn das passiert. Kleiner Tip, du mußt dir so eine Stan & Ollie Komödie vorstellen: Am Set angelt sich der Elefant grade das Handy des Regisseurs, kaut drauf herum und schluckt es runter, und wird als nächstes voraussichtlich explodieren, kollabieren, sich erbrechen, was handyfressende Elefanten halt so tun, und daneben stehen alle in einer langen Schlange hintereinander, ganz vorn der Kunde, der dreht sich entsetzt zu seinem Marketing Manager um, der guckt den Agenturberater an, der dreht sich ratlos zum Agenturproducer um, und weißt du wen der fragend anguckt? Wer steht als allerletztes in der Schlange, und hinter ihm steht keiner mehr, den er fragen könnte? Yep, ge-nau. Das bist du.*

Der Hauptdarsteller bricht sich ein Bein, wo kommt ganz ganz schnell ein Ersatz her? Die Location wird von einem Unwetter den Berg herabgespült, wo dreht ihr stattdessen? Fragen, die du easy beantworten kannst inklusive Kostenimplikationen und wer die covert. Du schließt die Negativversicherung ab, und die Personenausfallschutzversicherung. Und die Sachschadenausfallschutzversicherung auch. Und die Schlechtwetterversicherung wenn sie denn der Kunde bezahlen möchte auch noch.

Du bist „Safety first, fun later“. Achtung Fangfrage: Wenn dein Regisseur einen 911er mieten möchte, um von Berlin nach Hamburg zum Schnitt zu fahren, vermutlich sehr schnell, sagst du dann: „Yes! I’ll get one too, let’s see who’s in Hamburg first!“: Oder bist du diejenige, die sagt „Maybe not this time, ich spendiere Deutsche Bahn Erste Klasse.“ Über Option eins weiß ich nichts, aber ich kann dir sagen wie Option zwei ausgeht: Das findet der dann doof, er rollt mit den Augen, er hält dich für spießig, aber dann ist er auf dem Bahnsteig immerhin massiv beeindruckt von der in seiner Heimat offenbar nicht bekannten Einrichtung der Wagenstandsanzeiger – irre, man sieht schon auf dem Bahnsteig, wo der Waggon hält, in den man einsteigen will. „Youuuu Gerrrrmans!“, der Mann ist wieder versöhnt. Schwacher Trost, aber wie gesagt: Fun later.

Fangfrage Zwo: Wenn der Rapper, mit dem du ein Musikvideo in der Schweiz drehen willst, kurz vor der Grenze sagt, er habe leider grade seinen Paß nicht dabei weil er auf Bewährung sei, den hätten die, Zitat, „Scheiß-Bullen behalten“, Zitatende, ob er nicht einfach im Kofferraum über die Grenze fahren könne – auch dies ein rein hypothetisches Szenario – sagst du dann: „Easy, Mann!“? Nein, das sagst du nicht. Jedenfalls nicht nochmal. Ich rate dringend ab.

Du bist übrigens auch derjenige, der weiß, welche Risiken dein Problem sind und welche nicht. Force Majeure? Kundenproblem. Wetter? Kundenproblem. Kundenpromi sagt ab? Kundenproblem. Neues Briefing, neue Kosten? Du ahnst es vielleicht schon: Kundenproblem. Aber die meisten anderen Sachen: Dein Problem.

Oder, warte mal: am Ende das Problem der Produktion, für die du arbeitest. Du bist nämlich auch dafür zuständig, zwischen Persönlichem und Business trennen zu können, und allen anderen dabei zu helfen, das auch zu schaffen. Wenn’s regnet und der Kunde deshalb einen soliden 5stelligen Betrag mehr zahlen muß, dann haben natürlich alle hektische Flecken im Gesicht, besonders die Agenturberater und die Marketingmenschen, weil keiner gern 50.000 Euro mehr ausgibt, aber, wie mal eine altgediente Londoner Produktionsfachkraft zu mir sagte, als zu Drehbeginn das Poolwasser auf einmal flaschengrün war statt azurblau wie im Agenturscript, und ich im Gesicht denselben Farbton bekam, weil Agentur und Kunde in 10 Minuten am Set aufschlagen würden: „Relax, honey. This is nothing personal. It’s business“.

Das vergessen wir ja alle gern mal bei dem ganzen ständig auf-dufte-machen und Du zueinander sagen: It IS business, zumindest auch (Ein Grund dafür, übrigens, warum ich Agenturmenschen duze, Kunden aber sieze…). Du kannst Agenturproducer und Kundenberaterin freundlich erklären was du anbieten würdest, damit so wenig Mehrkosten entstehen wie möglich. Die Kundenberaterin kann dem Marketingmensch und der wiederum seiner Cheffin erklären, daß man Pech mit dem Wetter hat, daß das ein Risiko war, von dem alle wussten, und dass jetzt Mehraufwand und damit Mehrkosten anstehen. Das ist anstrengend, aber für dich Superproducer weder überraschend noch eine persönliche Krise – niemand ist daran schuld, wenn du deinen Job gescheit gemacht hast, und das kannst du allen auch so verklickern, auch wenn alle noch so überrascht tun, will sagen: „Zahlen, und fröhlich sein.“ (Theo gegen den Rest der Welt, 1979)

*Ich habe das zugegebenermaßen ein wenig überspitzt dargestellt – als mir das das letzte Mal passiert ist, hat mir die Versicherung zumindest das Handy ersetzt. Man könnte also mit Fug & Recht sagen: hinter dem Producer steht seine Versicherung, wenn er denn, siehe Überschrift, seinen Job gescheit gemacht hat. Den Elefanten hätten sie auch bezahlt, aber dem ist nix passiert, der hat einfach nach kurzer Zeit das kochende und schäumende Handy wieder ausgespuckt und tapfer weitergemacht. Profi halt.