Der „Einmal volltanken, bitte!“ – Effekt*

Mein VW fasst 65 Liter Superbenzin. Jetzt möchte ich natürlich auch gern mitmachen beim Klima retten. Weniger oder gar kein Auto fahren? E-Auto fahren? Immer nur einen halben Tank verbrauchen im Monat statt eines ganzen? Oder vielleicht doch E-Fuels, die sauber hergestellte Superbenzin Alternative! Denn damit mache ich genau das, was ich vorher auch gemacht habe: Ich tanke alle 3-4 Wochen meine Karre voll, nur eben mit angeblich sauber hergestelltem Sprit. Das Format „Auto“ und mein Umgang damit bleiben komplett unverändert, auch wenn ein neuer Treibstoff daherkommt. Und natürlich erwarte ich, dass es dasselbe kostet wie vorher.

Mal sehn wie weit uns diese holperige Analogie trägt… Ich frage mich halt grade, ob unsere Autos, quatsch, unsere Formate, unsere Arbeitsprozesse, nicht vielleicht mächtiger, zäher und langlebiger sind als die Inhalte und die Methoden, mit denen wir unsere Arbeit machen, und was das alles mit – NATÜRLICH – dem neuen Supertreibstoff AI zu tun hat.

An unseren Mood-Scouts kann man grade den „Einmal volltanken, bitte“-Effekt beobachten: Das Format „Moods suchen“ scheint deutlich robuster zu sein, als sämtliche potenziell ja revolutionären Innovationstendenzen der generativen AIs, die sich in dieses Format einschleichen.

In den Händen dieser Artists richtet generative AI zwar deren Arbeitsweisen neu aus und verändert sie radikal – vom Moodscout zum Prompt Artist – aber ihre Auslastung ist dabei nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Das macht jetzt nicht auf einmal die Inhouse Praktikantin „weil das ja mit AI jetzt so einfach geht“. Und weniger wird die Arbeit auch nicht: die Regisseurin, der sie zuarbeiten, ist nicht auf einmal nach 10 AI-generierten Bildern und zwei Arbeitsstunden seitens Moodscout-Gone-Prompt Artist schon happy und sagt: „Ach, wie geil sind denn diese Midjourney Bilder, viel geiler als die immergleichen aus dem Netz zusammengeklaubten Moodbilder, ich habe eigentlich alles was ich brauche.“ Und die Mood Scouts selbst werden alles dafür tun, das nicht aus der Hand zu geben. Sie sind natürlich dabei, sich AI als weiteres Tool anzueignen, damit sie weiterhin möglichst viel ihrer Arbeitskraft auf dem Markt verkauft bekommen.

Zu erwarten, dass sich Effizienzgewinne in weniger Leistung oder weniger Arbeit niederschlagen ist also wahrscheinlich blanker Unsinn. Die Arbeit wird nicht weniger.

„Die 4-Stunden-Woche“ von Timothy Ferris etwa, ein großer Beschiß, wie die meisten dieser „Mehr Zeit, Mehr Geld, Mehr Leben“ Besteller, das ist im vollen Ernst der Bestseller-Untertitel! Natürlich hat Ferris selber nie vier Stunden die Woche gearbeitet mit seinem irren Output an Podcasts, Büchern, Nahrungsmittelergänzungen etc. Vier Stunden die Woche für dieses Buch vielleicht, aber in Summe bestimmt 120 Stunden die Woche… John Maynard Keynes‘ Prognose aus 1930, daß aufgrund der großen Effizienzgewinne neuer Techniken in 2030 jeder nur noch 15 Stunden die Woche arbeiten werde – komplett naiv, da lag der Jahrhundert-Ökonom genau so sehr daneben, wie der Lebenshilfe-Autor. Ja, es arbeiten alle mit viel mehr & besserem Output, aber eben immer mindestens noch genau so viel, und wenn sie weniger arbeiten sollten, dann nicht wegen der Effizienzgewinne neuer Techniken. Sondern weil man sich das mühselig erstritten hat mithilfe von so unsexy Erfindungen wie Gewerkschaften und so.

Was die Frage aufwirft, bei wem eigentlich die Effizienz- und Qualitätssprünge ankommen, die generative AI ermöglicht. Denn es ist ja etwas qualitativ anderes, was die AI ermöglicht, das ist schon deutlich näher dran an bisher sehr mit viel mehr Aufwand und möglichst nicht schon im Pitchprozess hergestellten Style Frames, für die spezielle Artists noch vor nicht allzulanger Zeit 600-800 Euro am Tag bekommen haben. Nicht für 50 Bilder, sondern für ein bis zwei. „Ah, super daß wir jetzt wegen AI x-fach so präzise und x-fach so viel Zeug als Moods bekommen, aber bitte zu denselben Konditionen wie vorher eine Mood-Recherche natürlich!“ Jedenfalls landen sie nicht bei den Moodscouts. Nicht bei den Produktionen, die immer noch den Moodscouts dieselbe Anzahl an Tagen bezahlen. Hmmm, ja wo denn dann? Wie hat grade Charlie Warzel im ATLANTIC geschrieben: „In a world where the cost of producing content (…) approaches zero, it stands to reason that the forces of capitalism would respond by demanding as much of it as possible.“ Exakt. Und wir liefern natürlich, because that’s what we do.

Anders gesagt: Die neuen Techniken reduzieren nicht die Arbeit, nur die Kosten für Arbeit. Die Arbeit wird nicht weniger, der OUTPUT wird mehr & besser. Der Tank wird immer noch vollgemacht, weil eben so viel reinpasst, jetzt mit dem besseren Benzin. Vielleicht müssten wir den Blick von Effizienzsprüngen auf Qualitätssprünge richten: zu denselben Konditionen gibt es jetzt genauere, bessere, hochwertigere Moods. Wenn das für alle anderen Regisseure, Producer, VFX Artists etc. auch gilt, die sich da aktuell durch AI zu Freuds Prothesengöttern aufrüsten, und wenn wir all diese Verbesserungen an Output und Qualität zum selben alten Preis an die Kunden durchreichen, dann bekommen die zum selben Preis ein deutlich besseres Produkt. Da müßte man vielleicht mal drüber sprechen; zumindest müßte es erstmal einer relevanten Anzahl an Menschen auffallen & die müssten das irritierend & thematisierenswert finden.

Das könnte, positiv bertrachtet, auch ein Hinweis darauf sein, daß gar nicht alle Jobs wegfallen werden wie in den gern bemühten Warn-Horror-Szenarien zu zukünftigen AI-Umkrempelungen, sondern daß sich stattdessen alle mit AI aufrüsten, um mehr und einen besseren Output bieten zu können, aber trotzdem immer noch dieselbe Menge Manpower zu verkaufen. Das Problematische an AI ist also wahrscheinlich nicht in erster Linie die SKYNET Dystopie, oder daß viele Menschen ihre Jobs verlieren werden (auch wenn Goldman Sachs sagt, immerhin keine esoterische Hippie-Bude, daß im nächsten Jahrzehnt jeder 11. oder 300 Millionen Jobs ausgelöscht werden durch AI). Das Problematische ist eher, nochmal Charlie Warzel: „The easier our labor becomes, the more of it we can do, and the more of it we’ll be expected to do.“

Soweit teilen wir Filmhasen also wohl nur die AI-Zukunft mit all den anderen White Collar Arbeitsbienen da draußen. Oder gibt es für uns darüber hinaus noch eine sehr spezifisches Szenario, das wir im Auge behalten sollten? Der „Bitte einmal Volltanken“ Effekt ist in dem Moment unser kleinstes Problem, wenn generative AI so machtvoll wird, daß sie den Anspruch erheben kann, unser komplettes Produkt zu liefern, komplette Filme zu machen. Der Prognosen-Wettbewerb ist da im vollen Gange: „Wir werden die erste AI-generierte Nextflix Produktion in 12-18 Monaten erleben, den ersten AI Hollywood Film bis 2028 etc. etc.“

Bei den Architekten oder den Modeschöpfern ist das anders, da übernimmt AI „nur“ das Entwerfen, gebaut und geschneidert werden muss weiterhin. Text-To-Video AI macht dagegen erste Gehversuche darin, nicht das Konzept oder das Art Department eines Filmes zu ersetzen oder mit neuen Tools auszustatten, sondern den gesamten Film zu generieren.

Vielleicht ist generative AI also gar nicht nur der neue Supertreibstoff, den wir demnächst in unseren Filmproduktionstank packen, vielleicht ist generative AI die neue Filmproduktion. Bleibt spannend.

*P.S.: Wenn ich Wirtschaft studiert hätte, stelle ich grade beim Weiterlesen & -nachdenken fest, hätte ich mir nicht selber so eine maue Analogie ausdenken müssen & sie den „Einmal Volltanken Effekt“ nennen müssen. Ich hätte einfach sagen können: Klarer Fall von Jevons Effekt! Jevons Effekt? England war im 19. Jh das Saudi Arabien der Steinkohle mit der Sorge, was wohl passieren werde, wenn die Steinkohle mal alle ist. Schlaue Ingenieure argumentierten, das sein kein Problem, weil der technische Fortschritt zu effizienteren Maschinen und damit zu weniger Kohleverbrauch führen werde. Der noch schlauere Ökonom Jevon argumentierte dagegen, daß effizientere Maschinen zu MEHR Kohleverbrauch führen würden, weil sie die Kosten des Kohleverbrauchs senken würden. Wenn der Preis sinkt, steigt die Nachfrage, und mit der Nachfrage steigt der Konsum. Von Kohle, wie auch von AI powered White Collar Arbeit. Und genau das wird passieren! Der Preis für unsere Arbeit + AI wird sinken – anders betrachtet, wir werden für unsere per AI supercharged Arbeit dieselbe Kohle bekommen, wie wir sie vorher ohne AI bekommen haben. Und der Preis für Arbeit, die nicht per AI veredelt wird, wird ins Bodenlose fallen. Nicht in der Krankenpflege, und nicht im Straßenbau, aber bei uns.

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