Japanischer Freelancer mit 5 Buchstaben?

„Ronin“ heißt ein ehemaliger Samurai, der keinen Dienstherren, und damit auch keinen Job hat, ein drifter, ein Streuner (wörtlich im Japanischen: 浪人: „Wellenmann“). Eine unmögliche Person, für viele Jahrhunderte das Schreckbild eines aufrechten Samurai eigentlich. Aber was müssen wir da bereits im Jahr 1710 in Tsunetomo Yamamotos „Hagakure“ lesen, einem der Standardwerke über das Selbstverständnis des Samurai?   

“People think that nothing could be worse than being a Ronin; and that, if dismissed from duty, it must crush the spirit and lead to a loss of incentive. Yet, when I was a Ronin, I found it was not at all that bad. It was different than what I expected, and to be honest, I wouldn’t mind being a Ronin again.”

Noch ein Jahrhundert zuvor, zu Beginn der Edo Periode, wäre das eine recht frivole Perspektive auf das Thema Arbeitsplatzverlust gewesen, die sich ein Samurai wie Yamamoto nur deshalb leisten kann, weil er unter dem Nabeshima-Clan diente, der entgegen der traditionellen Gepflogenheiten auch Ronins wieder zu Samurai machte. Für die Mehrheit der Clans unter dem Tokugawa Shogunat war das nach wie vor undenkbar: einmal Ronin – immer Ronin. Nach alter Tradition konnten Ronins nie wieder einem andern Herren dienen. Es gab Heerschaaren zwangsweise zu Ronin gewordener Samurai, die nur deshalb ihren Job verloren hatten, weil ihr Daimyo in einem der unzähligen Kriege sein Leben verloren hatte, Ronins, die sich in Ermangelung anderer Möglichkeiten als Banditen durchschlugen, blutige Roninaufstände etc. Unpraktischerweise erlaubte das starre Kastensystem der frühen Edo-Zeit nämlich auch nicht, daß Ronin Bauern oder Handwerker wurden, Umschulen war nicht.

Die verbreitete gesellschaftliche Erwartungshaltung gegenüber einem Samurai, der seinen Job verloren hatte, war demensprechend, dass er doch bitte sepukku begehen möge, die rituelle Selbsttötung mittels Bauch Aufschlitzens. 

Relativ extreme Erwartungshaltung, dass man sich entleibt, wenn der Arbeitgeber abtritt, sag ich mal: was für eine beknackte Definition von Loyalität! Und wie unökonomisch, gesamtgesellschaftlich gesehen, ständig einen Teil seiner Workforce auszulöschen oder in die Illegalität zu treiben. Mag ja ganz gut gegen die innere Kündigung helfen, aber geht’s vielleicht auch ‘ne Nummer kleiner? Haben die Japaner auch irgendwann als Gesellschaft verstanden, dass man sich das nicht leisten kann auf Dauer, wie es sich schon im obigen Hagakure-Zitat zumindest als „Ich hab da mal ‘ne ganz unkonventionelle  Idee“ ankündigt.

Spoiler alert: Uneingeschränkt ist das Hagakure nicht zu empfehlen als Producerlehrgang, es ist pickepackevoll mit jeder Menge schwer verdaulichem Altherren-Gerumpel á là „Gähnen in der Öffentlichkeit ist vulgär!“, aber es ist erstaunlich unterhaltsam zwischendurch. Und vor allem wirft es – vielleicht gerade weil es kulturell und zeitlich so weit weg ist – tatsächlich immer wieder die Frage auf, wie das denn bei uns so funktioniert, bei den festen Producern, den Festen Freien, den Freelancern, den Permalancern und unseren Daimyos, den Produktionsfirmen? Wem schulden wir denn nach dem uralten Producerkodex Treue, Loyalität, Gefolgschaft? Darauf wird es für jede Art Producersamurai die unterschiedlichsten Antworten, unterschiedliche individuelle Schwerpunktsetzungen geben.

Es soll ja Producer geben, die wirklich und wahrhaftig an guter Werbung interessiert sind, an guten Werbefilmen im Besonderen. Der Beak Street Bugle hat mal behauptet: “You’ve got more chance of making a good film with a good producer and a bad director than the reverse”. Egal ob das stimmt oder nicht: Es gibt Producer, die das glauben, und die Einiges bis Alles für einen guten Film geben.

Viele fühlen sich tatsächlich diesem Job, seinen Gepflogenheiten, seinen ungeschriebenen Regeln verbunden, zu denen thank goodness nicht das Bauchaufschlitzen gehört: „This is how we do it“, Standesehre, Berufsethos, das gibts hier tatsächlich, wenn auch eher verdeckt, gern in subtilen, quirky Ritualen: „Don’t Jinx it!“ zu sagen, wenn jemand sich so verhält, als wenn der Job schon da wäre, bevor er WIKRLICH da ist, beispielsweise.

Und dann das Projektgeschäft im Speziellen: ein gemeinsames Verständnis herrscht unter vielen Produzierenden, dass das Projekt, welches auch immer es grade sei, fertig werden MUSS, und nicht nur von alleine und irgendwie, sondern in time, mit aller verfügbaren Energie und so (kreativ, finanziell, karmamässig) gut wie irgend möglich. Das reicht vielen als Selbstdefinition. Für einige ist das eine Zwischenstation auf dem Weg, selbst ein Daimyo zu werden, für viele die ich kenne, ist das schon genug: ein guter Producer zu sein.

Manche fühlen sich nach alter Samurai-Sitte gebunden an ihren Daymio, den Menschen, der/die die Company gegründet hat, für die sie schaffen. Nachdem das hier grundsätzlich very personal business ist – keine Produktionsfirma mit einer Ausnahme besteht in Deutschland aus mehr als 30 Leuten – ist das erfahrungsgemäß weit verbreitet.

Für wieder andere geht’s um den Clan, die Posse, die Verbündeten, die Mitstreiter, der Mikrokosmos der Peoples, mit denen man Projekte wuppt. Only crew love is true love!

Oder ist es das Geldverdienen? Soll ja ab&zu stattfinden habe ich raunen hören, und es soll Producer geben, die das ganz besonders gerne machen und stolz darauf sind, aus einem Projekt möglichst viel rauszuholen für den Daimyo und für sich selbst am Ende auch, natürlich.

Auch wenn wir nicht das englische System der personal producer haben:  viele fühlen sich als „Regisseur XYZ’s Producer“. Kenn ich, kann ich nachvollziehen, macht auch eine Menge Sinn, auch wenn das in diesem schnelldrehenden Business, in dem Regisseure und Producer regelmäßig rotieren, oft schwer herstellbar und durchhaltbar ist

Die Loyalitäten gegenüber all diesen unterschiedlichen Faktoren können friedlich in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen in einer Producerpersönlichkeit koexistieren, sie können aber auch miteinander kollidieren, und das kann dann auch mal scheppern und wehtun.

Yamamoto wollte per sepukku seinem Chef nach dessen Ableben ins Nirwana folgen, angeblich aber DURFTE er nicht. Naaaaaa, bin ich hier der Einzige, für den das ein wenig zu convenient klingt? Ganz vielleicht war er ja auch froh, daß er selbst, dessen Philosophie sich zu 90% um Todessehnsucht und Diensteifer bis zur Selbstaufopferung drehte ohne daß er selbst jemals in den Krieg gezogen wäre, nicht am Ende die Konsequenzen seiner eigenen Ausführungen ausbaden mußte, und stattdessen ins Kloster abtauchen konnte.

Wie auch immer – das Ausschlachten seiner blutrünstigsten Weisheiten überlasse ich gern schmierlappigen Motivationsseminarleitern und entlasse uns alle stattdessen mit einem doch sehr Werbefilmproduktions-kompatiblen Ratschlag:

„Man kann keinen guten Dienst leisten, wenn man von anderen nicht gemocht wird. Niemand kann einen Mann hassen, der sich darum bemüht, nützlich zu sein, der seinen Dienst liebt, sich dafür anstrengt und allzeit bereit mit seinen Weggefährten arbeitet.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert