Komplexität & Kollaps

Hier ist ein interessanter Beitrag von Clay Shirky über den Clash von neuen und alten Business Modellen im Medienbereich. Eine echte Steilvorlage um sich zu fragen: Was haben wir Werbefilmer mit AOL und ATT gemeinsam, und was können wir tun, um nicht von deren Dinosaurier-Schicksal ereilt zu werden?

Du hast grundsätzlich zwei Möglichkeiten einen Profit zu erzielen, erinnert uns Shirky: Du hebst deinen Profit über deine Kosten, oder du senkst deine Kosten innerhalb eines verfügbaren Budgets so weit, daß was übrig bleibt.

Wie machen wir das? Wir Werbefilmhersteller sind ja grundsätzlich so aufgestellt, daß wir Drittkosten zusammentragen und ein Markup oben draufrechnen, das wir in einer idealen Welt tatsächlich dann auch als Profit übrig behalten (Alle, denen das bei den letzten 3 Projekten in Folge gelungen ist, bitte in die Kommentarspalte eintragen…), also eher Möglichkeit Eins.

Wir neigen dabei dazu, die Tendenz von Kunden und Werbeagenturen zu umarmen zu immer komplexeren, ja byzantinischen Strukturen und Procedures, weil das grundsätzlich in unsere Karten spielt: mehr Arbeit, mehr Drittkosten, mehr Markup, mehr Profit. Wer da mitspielt und immer schön „Ja, gerne!“ sagt, ist kurzfristig im Vorteil, und das nicht nur weil das Serviceorientierung vorspiegelt: „Ja, kein Problem, kalkulieren wir so.“ „Regie aus UK einfliegen? Dreh in LA, weil’s da so super ausschaut? Darsteller-Nutzungsrechte für fünf Jahre weltweit gleich mal vorab einkaufen?  Social Media Team andocken? Ja, Ja, und nochmal Ja!“ Kurzfristig hilft das zwar dem einzelnen Player, weil er, wenn’s die Budgets denn hergeben, mehr Umsatz macht. Langfristig ist das aber für das gesamte Ökosystem brandgefährlich. Warum?

Shirky zitiert Tainters „The collapse of complex societies“*: Was komplexe Gesellschaften wie das römische Reich, die Maya, die USA erschaffen, sind immer komplexer werdende Systeme. Der Catch: wenn es externe Anforderungen an diese Systeme gibt, sich anzupassen, downzusizen, etwa weil natürliche Ressourcen – Holz zum Schiffbau, Korn aus Ägypten, Produktionsbudgets – knapp werden, dann können die nicht einfach wieder einen Gang runterschalten, weil sie das nicht gelernt haben. Gelernt haben sie nur, immer sophisticatedtere Lösungen sich auszudenken. Die legen einfach immer noch eins drauf, verlagern ihre Hauptstadt nach Byzanz, erfinden dort jedes Jahr 300 weitere Beamtenposten mit Aufgaben wie „Kaiserliche Kopfkissenaufschüttler“ – bis ihnen der Sprit ausgeht. Sie kollabieren nicht deshalb, weil sie ZU WENIG sophisticated sind, sie kollabieren weil sie ZU SEHR sophisticated, zu komplex geworden sind.

Anders gesagt, was man eben eher selten hört & liest:

(Cäsar): „Oh, Ägypten hat Lieferprobleme? Kein Problem, dann schaffen wir die Prätorianergarde, die Triumphzüge und die Zirkusspiele halt wieder ab“.

(Werbefilmer): „Ooops, Marketingbudgets zusammengestrichen? Na gut, dann fliegen wir halt niemanden mehr für ein Meeting aus Los Angeles per business class ein. Und für die Fahrszene muss es ja kein Russian Arm sein, die covern wir halt wie früher aus dem VW Bus bei offener Seitentür.“

Stattdessen geht’s doch wohl eher so:

(Cäsar): „Beim Jupiter, kein Korn aus Ägypten?  Da hilft nur ein besonders fetter Triumphzug, auf daß der Pöbel bei Laune bleibt!“

(Werbefilmer): „Zusammengestrichen? Ja, wie soll ich denn mit dem Budget das Auto gut aussehen lassen? Sorry, da sind wir leider raus.“

Vereinfachung wird für uns tendenziell undenkbar & unmöglich, weil alles, was wir täglich praktizieren, tendenziell zumindest das Addieren von zusätzlicher Komplexität bedeutet: Unvorstellbar, daß man noch vor 10 Jahren ein PPM machen konnte, ohne vorher ein PRE-PPM zu machen (Neulich habe ich mit der Agenturproducerin das PPM-Booklet vor dem Pre-PPM durchgesprochen: Mein erstes Pre-Pre-Pre-Production Meeting). Noch unvorstellbarer, daß man Musikvideos drehen konnte ohne vorher ÜBERHAUPT ein PPM zu machen – KREISCH!

Downsizen erzeugt ein massives Unbehagen, ja, Leistungsverweigerung bei denen, die es gewohnt sind, immer mehr Layer an Komplexität zu addieren, schreibt Shirky. Und das stimmt: Ich kann von dem Schock berichten, den ich jedes Mal bekomme, wenn ich mir 10 Jahre alte Budgets anschaue, die ich selbst gemacht habe: „Was? Mit so einem kleinen Team? Mit so wenig Servicebudget haben wir diesen Film gemacht? UN-Friggin‘-FASSBAR!“ Wenn das über Jahre aber immer extremer wird, und dann, um nochmal die Dinosaurieranalogie zu bemühen, ein Meteorit einschlägt, wenn also eine externe Krise (Corona, anyone?) von allen verlangt, runterzuschalten, kleiner zu denken, Abstriche zu machen, dann müssen wir aufpassen, daß uns nicht der Totalausfall als letzte verbleibende Möglichkeit bleibt – Kollaps als die letzte verbleibende Option zur Vereinfachung: „Sorry, dann dreht den Film halt ein Influenzer mit dem Iphone. Bzw mit so einer billigen Android Gurke. Mir doch egal, ich weiß jedenfalls nicht wie wir das stemmen sollen.“

Will nur sagen: Man muß sich einen klaren Blick dafür bewahren was wirklich wichtig ist und was nur aus Betriebsnudeligkeit dazugekommen ist und ständig neu hinzukommen möchte. Was man nur macht, weil die Konkurrenz das auch macht, die gute alte Rüstungsspirale. Oder weil der Agenturproducer sagt daß der Kunde das geil fände. Oder weil mehr Leistung gleich mehr MarkUp. Oder oder oder – Gründe gibt es immer: Natürlich sind das auch die Kunden schuld, die immer mehr Leistung in immer kleinere Budgets quetschen wollen, aber es muß ihnen auch jemand sagen. Das sind wir.

Noch einfacher gesagt: Wer, wenn nicht wir Producer hat, finde ich, die kollektive Aufgabe, mit darauf zu achten, daß eben nicht alles immer komplexer und aufwendiger und teurer wird, und das auch gern regelmäßig anzumerken, und zwar sowohl bei denen, bei denen wir Leistungen einkaufen (eh klar!), aber eben auch bei denen, die Leistungen von uns einkaufen wollen. Reality Check, hallo!

Das ist kein vorauseilender Gehorsam gegenüber Cost Controllern oder jammernden Marketingabteilungen; das verhindert, daß wir ständig Level um Level die Komplexität anheben, bis keiner mehr zurück kann und wir alle kollektiv kollabieren. Das ist sowas wie Branchenhygiene – Selbstschutz für uns als Producer und für die Werbefilmwelt als Ganze.

*Joseph A. Tainter: „The collapse of complex societies“ 1990

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