Gehen Sie bitte weiter, hier gibt es nichts zu sehen.

Ich hab mich neulich mal beschwert darüber, daß ich ständig Roboter-Bilder sehe, die AI-Beiträge illustrieren und dort die AI verkörpern sollen, und das auch noch auf LinkedIn. Immer eine schlechte Idee, Streit auf LinkedIn anzufangen. Diesen habe ich eindeutig verloren: am Ende wurde ich aufgefordert, halt eine bessere AI-Allegorie vorzulegen – „touché“! Wir wissen immer mehr darüber, was generative AI produzieren kann. Wir haben aber weiterhin keinen blassen Schimmer, wie wir uns generative AI vorstellen sollen, wir haben kein Bild davon, und so greifen wir ständig auf die ältesten Klischees zurück, die man sich denken kann. Soviel übrigens zum Thema „AI reproduziert ja immer nur das, was sie schon kennt, woran sie trainiert ist, da kann ja nix Neues bei rauskommen“: uns Fleshbags („Trollhunters“, 2016) geht’s da ganz genauso.

Etwas, das so menschenähnlich mit uns interagiert wie ChatGPT, das muß doch aussehen wie ein Mensch! Ist ja auch nicht einfach, erst recht nicht, wenn man nur schnell eine einleuchtende Illustration für einen Linkedin Beitrag braucht. Natürlich wollen wir in die bildlichen Repräsentationen immer einen Reminder auf die Maschinenherkunft der AI einbauen. Wie soll da keine humanoide Blechkiste bei rauskommen?

Grob gesprochen sind 95% aller Versuche nur Variationen über die Robots aus „All Is Full Of Love“ (1997), die Chris Cunningham übrigens selbst entworfen hat – sein Musikvideo ist zu Recht in der Ständigen Ausstellung des MoMa gelandet. Die Robots unterscheiden sich ja von Maria, Fritz Langs Roboter aus Metropolis (1927), dem Vorbild für Lucas’ C3PO, nur im Style, sie sind 90ies slick, weiß und gefühlt Japanese statt expressionistisch, aber eben nicht grundsätzlich: humanoide Blechkisten auch sie. Da ist also nicht wirklich viel passiert in hundert Jahren, könnte man sagen.

Zugleich ist das ja geradezu rührend hilflos. Diese ganzen Robots sollen uns trotz allen Alien-Terminator-Transformer-Schauers eine gewisse Sicherheit bescheren dahingehend, daß immer noch ein menschenähnliches Gegenüber mit uns interagiert; ein Gegenüber, wie wir uns uns selbst immer vorstellen, als Individuum, als eine abgeschlossene Entity.

Spätestens da kippt dann das Falsche ins Fahrlässige, weil wir uns auf diese Weise nur vor der Erkenntnis verstecken, daß es da eigentlich nichts zu sehen gibt. AI ist eben kein Individuum, AI ist nicht EINS. Kevin Kelly („The Inevitable“, 2016) knows best, Leute: „Conventional wisdom held that supercomputers would be the first to host (ai), and then soon enough, we’d add consumer models to the heads of our personal robots. (…) However, the first genuine AI will not be birthed in a stand alone supercomputer, but in the superorganism known as the net. (…) The AI on the horizon looks more like Amazon Web Services.”

Achtung, anschnallen bitte für den weit hergeholten Vergleich: Ein paar der monotheistischen Religionen haben es geschafft, die Idee eisenhart durchzuziehen, dass man seinen Gott nicht darstellen, ja, ihn sich nicht einmal VORstellen dürfe. Die Christen haben da zwar „jaja“ gesagt, „du sollst dir kein Bildnis machen“, aber dann haben sie Michelangelo et. al. rangelassen. Das sollten wir in Sachen AI vielleicht vermeiden, ein Gott mit Rauschebart ist eigentlich genau so daneben wie AI als Roboter. Lasst uns stattdessen mal den Mut haben, uns AI nicht zu visualisieren (was ja für uns Werbefilmmenschen eine ganz besonders schwieriges Projekt ist), zumindest nicht mehr als Chris Cunningham Roboter, bitte.*

Die meines Erachtens beste Analogie stammt erneut von, ihr ahnt es, Kevin Kelly: in der industriellen Revolution haben viele Unternehmer ein Vermögen gemacht, indem sie bekannte Produkte elekrifiziert haben: Ein Bügeleisen, aber mit Strom. Ein Rührgerät, JETZT NEU! Mit Strom etc. Den Strom dafür haben sich diese Erfinder-Unternehmer besorgt als vorfabrizierte, unsichtbare, netzbasierte Ressource, jederzeit anzapfbar. Mit unseren aktuellen Tools passiert gerade dasselbe: Photoshop, jetzt mit generativer AI. Und die bleibt, wie zuvor der Strom auch, unsichtbar.

Schaut Euch mal den TED Talk von Imran Choudhri an, der jahrzehntelang Designer bei Apple war. Seine Vision für eine neues Tool, mit dessen Hilfe wir mit AI interagieren können, ist in allem das Gegenteil der Facehugger-Apple Brille. AI wird uns, wenn man Choudhri folgt, garantiert nicht als Roboter entgegentreten; seine Vision ist vielmehr „technology needs to disappear – to re-allow us to be present“. Für mich so viel sympatischer als alle anderen Techonlogie-Ansätze, die ständig etwas Neues basteln, das sie zwischen mich und die Welt schieben wollen (Screens vor oder in meinem Gesicht, Kopfhörer in meinen Ohren, Kabel im Gehirn etc.) Choudhri hat stattdessen ein minimalistisches wearable device entworfen, das uns als Interface dienen soll, um uns AI als eine Art persönlichen, sprechenden Assistenten zur Seite zu stellen. Da gibt es literally nichts zu sehen – weniger Roboter ist kaum denkbar.

*PS: An einigen Reaktionen habe ich bemerkt, daß ich da vielleicht eine falsche Fährte gelegt habe: Ich wollte überhaupt nicht andeuten, AI habe übermenschliches, gar göttliches Potenzial. Noch sind WIR ja diejenigen, die etwas nach unserem Bilde geschaffen haben, nicht umgekehrt. Ich wollte lediglich darauf hinweisen, daß es eine solide kulturgeschichtliche Leistung ist, nicht immer alles gleich zu anthropomorphisieren, und daß man sich daran auch in Sachen AI halten sollte, auch wenn es einem dann schwerer fällt, LinkedIn Beiträge zu illustrieren.

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