funky funky: Sozialabgaben

Eine Kölner Freundin hat es gewagt, einem Berliner Copyshop Mitarbeiter, der sie auf die übliche miese Berliner Muffeltour behandelte, zu sagen: „Hömma, du bist hier im Service, Liebschen!“ Ergebnis: Hausverbot im Copyshop.

Ich bin zu hundert Prozent auf Seiten des Rheinlandes in dieser Sache, zumal die Sozialstandards für Copyshopmitarbeiter in Köln und Berlin grob dieselben sein sollten. Das basic mindset der durchschnittlichen Berliner Service Fachkraft scheint aber immer noch zu sein: „Wenn ich mich schon zwingen lasse, diesen Job zu machen, dann laß ich wenigstens meine schlechte Laune gegenüber allem & jedem raushängen.“ Aber das sind ja nur kulturelle Oberflächenphänomene einer im Grunde genommen sehr durchregulierten und komfortablen Arbeitswelt, ripples auf einem Ozean des Kommoden, zumal in unserer Branche (Ja ich weiß, nicht immer und nicht für alle, lest trotzdem gern mal weiter…). Aber wie sieht das so aus, wenn wir unsere Jobs ins Ausland tragen?

Traditionellerweise kostet Production Service in Portugal rund 10-15% weniger als in Barcelona. Warum?  Neulich sagte ein Producer aus Barcelona, den ich fragte, was denn derselbe Film seiner Meinung nach in Lissabon kosten würde: „Nimm einfach mein Budget und zieh die Sozialabgaben ab*.“

Und tatsächlich, das kommt ganz gut hin. In Spanien sind die Preise hochgegangen vor ein paar Jahren, als die Spanischen Serviceproduktionsfirmen zähneknirschend angefangen haben, wegen neuer gesetzlicher Auflagen auch Sozialabgaben zu bezahlen und an uns weiter zu berechnen. Als dann ihre Kunden – wir – verstärkt nach Portugal abgewandert sind, weil da die Preise noch niedriger waren (read: keine Sozialabgaben gezahlt wurden), haben einige von ihnen Offices in Lissabon aufgemacht, damit sie von dieser Abwanderung profitieren konnten. Ist damit die Service Industrie in Spanien den Bach runtergegangen?

Ratet mal warum keiner von uns jemals freiwillig in Frankreich dreht:

  1. Weil’s da so häßlich ist?
  2. Weil die Franzosen keinen Geschmack haben?
  3. Weil es keine Business Infrastruktur gibt?
  4. Weil das viel zu weit weg ist?

Nö, nö, nö & nö. Die Antwort findet sich –  wie übrigens alle wichtigen Antworten – in Excel. Schaut mal auf diese Formel, die ich jüngst noch in einem Kostenvoranschlag aus Frankreich gefunden habe, um die Sozialabgaben zu berechnen: =(SUMBN4-BN19)*65%. FÜNF-UND-SECHZIG Prozent Sozialabgaben! Das ist schlicht prohibitiv teuer für ein Business, dessen Kosten zu einem massiven Teil aus Personalkosten bestehen. Will sagen: In Frankreich dreht keiner, weil die Sozialabgaben, und damit die Personalkosten insgesamt zu hoch sind.

Deutlicher ist der umgekehrte Effekt natürlich noch im ehemaligen Ostblock: unser Business ist ein sehr personalintensives Business, während die verwendete Technik überall gleich und damit auch tendenziell gleich teuer ist. In den 90ern sind wir nach Budapest und Prag gegangen. Als deren Preise irgendwann keinen Vorteil mehr gegenüber einer Produktion zuhause geboten haben – circa 2010?? – sind wir kollektiv weitergezogen Richtung Osten nach Rumänien in die Baltics… vor der verfluchten russischen Invasion in das top notch Serviceland Ukraine haben alle angefangen, ihre Fühler nach Kasachstan und Georgien auszustrecken. Warum wohl? Weil’s da so tolle Locations gibt? Bestimmt auch. Aber vor allem wegen der günstigen Manpower natürlich.

Wenn, random example, der Oberbeleuchter in Bukarest mit 180 Euro ohne weitere Sozialabgaben nicht mal ein Drittel von dem verdient, was sein deutsches Pendant bekommt, dann kann man sich unschwer ausrechnen was das für eine Ersparnis bedeutet im Gesamtbudget: Ein Drittel Personalkosten, da kommen pro Drehtag schnell ein paar zehntausend Euro zusammen, was schlicht bedeutet: wenn es keinen Grund gibt, NICHT in Rumänien zu drehen (wie: „Wir wollen mediterrane Locations“), dann dreht man in Rumänien. Oder in Vilnius. Oder Ljubljana.

Aber.

Aber fühlt sich das nicht irgendwie Scheiße an, wenn man seinen Kunden, unter ihnen Milliardenkonzerne mit Milliarden Jahresgewinnen, regelmäßig Dienstleistungen hinterherwirft, deren Realisierbarkeit zu einem entscheidenden Teil beruht auf Billigstarbeit und auf nicht bezahlten Sozialabgaben, die die Leute aus ihren eh schon mageren Salären mal schön selbst bestreiten können?

Keine Sorge, hier kommen ein paar Ausreden:

Man muß da kein Sozialist sein und gleich „Ausbeutung“ trompeten – die gezahlten Rates sind für die Locals immer noch attraktiv im Vergleich zu den sonst erzielbaren Einnahmen im Land.

Unsere Kunden machen ja dasselbe wenn sie beispielsweise Ihre Luxuskarossen im Osten zusammenschrauben lassen anstatt im Lohnhochland Deutschland.

Unsere Konkurrenz wird es genau so anbieten, wenn wir’s nicht machen. Es kriegt schlicht derjenige den Job, der’s zu diesen Konditionen anbietet, hilft also keinem, wenn wir’s nicht machen, gemacht wird es trotzdem.

Kurz: wir können uns nicht leisten, andere Standards zu bezahlen als Kunden oder Mitbewerber.

Niemand will crazy aufgeblasene Sozialsysteme wie in Frankreich subventionieren, das finde ich komplett nachvollziehbar.

Niemand will eine überregulierte, overstaffte und als unerbetene Dreingabe eine von der eigenen Überlegenheit grundlos überzeugte Produktionslandschaft wie in den USA finanzieren müssen, deren Drehtage schnell das Doppelte kosten wie bei uns, ohne daß man das Gefühl hätte, daß man dafür irgendeine handfeste Mehrleistung bekäme („Arri Alexa? Wow! Wait, where did you get that great piece of technology from?“). Auch das komplett nachvollziehbar.

Dafür wäre ja vielleicht mal die EU ganz nützlich, die regulieren doch sonst auch jeden Furz & Feuerstein, warum eigentlich regelt die EU nicht, daß die Arbeitsnebenkosten gewissen Mindeststandards genügen müssen, damit nicht jeder rumänische Griphelfer die Rentenabgaben aus seinen 80 Euro Tagesgage bestreiten muß? Schon da werden einige schreien „THE HORROR, THE HORROR“, um mal Colonel Kurtz zu zitieren, auch der ja gewissermaßen nur ein Producer auf einem sehr schwierigen Servicejob, aber würd‘s wirklich wen umbringen? Anders als durch Regulation läßt sich da sicher nix ändern, siehe die validen Ausreden oben.

Fragte man die Kunden, dann würden die sich hinter ihren 300-seitigen Lieferverträgen verstecken (Producer-Faustregel: je größer der Konzern, desto länger & unverschämter die Lieferverträge), in denen sie sicherstellen, daß sie zu hundert Prozent sauber da raus kommen. Wir garantieren denen natürlich jedes Mal, daß wir sämtliche gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsstandards einhalten, die lokal gültigen, wohlgemerkt, und für jeden Verstoß selbst gradestehen und haften. Und das nicht, weil sie das wirklich interessiert, sondern damit ihnen keiner an den Karren fahren kann.

Pheeew, fünf tiptop Ausreden! Aber wie ein befreundeter Producer gern zu jeder passenden Gelegenheit sagt: „Excuses are like assholes. Everybody’s got one, and they all stink“. Ja, da stehn wir jetzt mit unserem kurzen Hemd und wissen nicht weiter. Ihr etwa? Sachdienliche Hinweise bitte gern in die Kommentarspalte.

*Sozialabgaben: Vom Arbeitgeber zu zahlende Lohnnebenleistungen für Rente, Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung etc. https://www.hellogetsafe.com/de-de/posts/sozialabgaben-was-ist-das-und-wofuer-bezahle-ich-da-eigentlich

Elektroautos, Digitalkameras und der „Siehste, geht doch!“ – Effekt

Systeme wie die der Werbefilmproduktion haben die Tendenz, immer komplexer zu werden, bis als einzige Option zur Vereinfachung nur noch der Totalkollaps („Collapse to Simplicity“, Clay Shirky) bleibt. Das sollten wir alle im Blick behalten, und wir müssen alle täglich dagegen anarbeiten, damit wir nicht irgendwann wie das Römische Reich an unseren selbstaufgehäuften Byzantinismen ersticken.

Ich hör schon, das ist Euch zu akademisch? Dann eben Elektroautos, genauer: der Schritt vom Verbrennungs-Motoren zu Elektro-Motoren. Damit kommen wir Werbefilmer als Dienstleister ja ständig in Kontakt, ohne zu sehen, wie ähnlich da die Kundenprobleme den unseren sind. Denn obwohl sich das so nach Upgrade, nach Fortschritt anhört, ist dieser Schritt nämlich vor allem erstmal ein Downgrade in Sachen Komplexität. Warum? Du brauchst ein paar 1000 Teile um einen Verbrennungsmotor herzustellen, aber nur ein paar 100 Teile um einen Elektromotor herzustellen. Übersetzt in Manpower bedeutet das: der Stromer benötigt zur Herstellung gerade einmal die Hälfte des Verbrenners.

Das ist der Grund, warum sich Volkswagen jahrelang massiv gegen die Umstellung auf Elektro gewehrt hat: weil die zu einem erheblichen Teil Mitarbeiter-bestimmt sind, und deshalb bis in die Konzernstruktur hinein von der Komplexität des Verbrennungsmotors profitieren, weil man dafür eben viele Menschen = Arbeitsplätze braucht.

Am Ende kommt auch bei der weit weniger komplexen Geschichte ein sehr zeitgemäßes Ding heraus, das die Menschen von A nach B fährt, und potenziell Millionen Kunden, denen man jahrzehntelang erzählt hat „Neineinnein, das geht nicht, das muß genau so wie wir das immer gemacht haben, wir sind die Experten, trust us“, die kaufen dann doch ein deutlich weniger komplexes Elektroauto, wenn’s ganz doof läuft auch noch bei Tesla, und sagen: „SIEHSTE, GEHT DOCH!“**

Und die Industrie so? Statt auf die weniger komplexe Variante „Stromer“ umzusteigen, sind sie lieber jahrelang in die entgegengesetzte Richtung galoppiert und haben stattdessen Komplexität HINZUADDIERT, indem sie Hybridfahrzeuge promotet haben, also quasi die neue Lösung auf die alte aufgepfropft, statt sie zu ersetzen. „Schautmal, wir machen einfach unseren alten Stiefel weiter, und wir addieren aber den Elektromotor hinzu, weil wir nur das eine können: komplexer werden.“ Ein irrer Move eigentlich! Als wenn man am Ende des 19. Jahrhunderts Benzinmotoren in Pferdekutschen eingebaut hätte, ohne die Pferde auszuspannen.

Uff, sehr weit ausgeholt, aber jetzt krieg ich die Kurve. Stell dir vor, wir Werbefilmer hätten vor 20 Jahren angesichts der digitalen Revolution dasselbe gemacht, nämlich den Kunden jahrelang erklärt, man müsse weiterhin auf Film, aber eben parallel alles auch digital drehen. Und das koste halt leider so Einiges mehr, aber was soll man machen: Fortschritt halt, Schulterzucken… Ganz so irre waren wir dann doch nicht. Aber wir haben uns jahrelang mit Klauen und Zähnen an das wirklich hochkomplexe analoge Verfahren geklammert, und uns war keine noch so weit hergeholte kreative Begründung zu doof dafür.

Ich hab neulich mal versucht, meinen Kids zu erklären, was wir da früher veranstaltet haben, ich mußte selber lachen dabei: „Okay, da gibt es dieses beschichtete, lichtempfindliche  Material, das mithilfe eines Motors durch die Kamera durchgezogen wird; das wird belichtet, anschließend chemisch behandelt, um es zu entwickeln und DANN erst haben wir es digitalisiert, um damit weiterarbeiten zu können.“ Erwartbar große Augen, berechtigte Gegenfrage: „Warum habt ihr denn nicht gleich digitale Kameras benutzt?“

In dieser Umstiegsphase konnte man tatsächlich die zwei entgegengesetzten attitudes beobachten: Die einen, die sich an den gelernten aufwendigen Prozess geklammert haben „Neeeein! Das ist ein Beauty Film! Den MÜSSEN wir analog drehen!!!“ und die anderen, die sich mit Ganzkörpereinsatz auf die Chancen der neuen Technik geschmissen haben. Legendär immer noch Roberto Rodriguez in der Sache, FILM IS DEAD, der sich als rebel without a crew in die Industrie gedrängelt hat vor allem, indem er sich zu hundert Prozent auf Digital geworfen hat. Ich bin gespannt, wann denn die ganzen Jungkreativen, die jetzt alle UNBEDINGT auf Film drehen müssen, weil das so authentisch/analog/grainy/haptisch (setze hier gern selbst ein Kreativ-Sales-Wort ein) ist, die Nase voll haben werden von dem ganzen Gehampel und wieder zur Alexa greifen, aber hey, was weiß denn ich schon: Ich bin ja mehr so der Excel-Typ.

Und was können wir jetzt denn der Autoindustrie für heiße Tips geben?

  1. Fürchtet euch nicht.
  2. Auch wenn das Innenleben nicht mehr dasselbe ist, das Herz, der technische Kern: die Leute wollen weiterhin Autos haben, und es ist ihnen am Ende egal, wie die angetrieben werden.
  3. Wenn ihr es schlau anstellt, dann werden die Komplexitätsreduktionen beim Antrieb nicht in niedrigere Preise und Umsätze übersetzt; ihr müsst halt diversen Krempel drumherum erfinden & dranflanschen. Wir haben ja auch diverse Extraleistungen entwickelt – „mehr gedrehtes Material, aus dem man Alternativen schneiden und 230 SoMe Edits generieren kann; Viel mehr High Speed? Kein Problem! Dailies abends schon hochladen oder gar parallel am Set schneiden, easy!“ – Das könnt ihr auch.
  4. Damit ist dann auch die Sorge dahin, dass ab jetzt Filme nur noch von einer Person auf dem iPhone gedreht werden oder daß eure Kernkompetenz von Bosch übernommen wird. Unsere Kernkompetenz war ja nie „Film belichten“, sondern Filme machen. Eure Kernkompetenz ist nicht „Benzin verbrennen“, sondern Autos bauen.

**Tesla ist besonders spannend in diesem Zusammenhang: natürlich könnte man jetzt wie ein paar chinesische Hersteller die gesunkene Komplexität in einen kleineren Preis übersetzen und Autos so billig machen wie möglich, weil sie keinen komplexen = teuren Verbrenner-Antriebsstrang mehr brauchen. Das gibt es ja auch. Tesla ist aber augenscheinlich den entgegengesetzten Weg gegangen: die haben jede Menge neuer Leistungen hinzuaddiert (Rundherum Kameras, Autopilot, Softwareupdates über’s Netz etc.), um den Gesamtpreis oben zu halten; damit haben sie die Preisersparnis durch Komplexitätssenkung aufgefangen und sich für weitere Eigenleistungen in die Tasche gesteckt.

Und wann habt ihr den letzten TVC von TESLA gesehen? Hmmm…. Wartet mal… Gar nicht? Das liegt daran, dass Tesla keine Bewegtbildwerbung machen. Die sagenwirmal 5% des Kaufpreises, die andere Hersteller für Werbung rausblasen, behalten sie einfach selbst. Nochmal: PANIKBUTTON DRÜCKEN JETZT! Aber das ist ein anderes Thema.

Personal Business

Für mich ist Produzieren ja immer so weit wie möglich Personal Business. Sonst hätte ich auch zur Volks- und Raiffeisenbank gehen können im C&A Anzug und Exceltabellen schubsen den lieben langen Tag. Hmmm, Moment, Excel mache ich hier auch ganz schön viel… Und nichts Grundsätzliches gegen C&A Anzüge, habe selbst mal einen getragen als ich meinen Ersten Echten Job bei einer Produktionsfirma angetreten hab: Ich hab gedacht „Alter, jetzt bist du im Management, du MUSST einen Anzug tragen.“ Nur um dann am Empfang von der Praktikantin (Iro und Dock Martens etc.)  verachtet zu werden. Looking at you, J.! Ich weiß noch 25 Jahre später daß du das warst – Personal Business halt! Ich kann zu meiner Verteidigung noch vorbringen, daß der Mann, der mich eingestellt hat, auch ständig so komische Sakkos anhatte. Ich hab dann schnell eingesehen, daß das mit den Sakkos nirgendwo hin führt, aber hier soll’s ja gar nicht um Sakkos gehen, sondern:

Ich illustriere mal, was ich mit Personal Business meine. Stellt Euch vor, ihr habt eine tolle Erfahrung mit einer Post Production gemacht. Und auf dem nächsten Job brennt es mal wieder, seeehr post lastig, seeehr schwer jemanden zu finden, dem man das überhaupt anvertrauen kann. Ganz klar was ich dann mache: Ich rufe schnell bei (nennen wir sie) der Post Producerin Caren an, weil das beim letzten Mal so gut geklappt hat. Allein, daß ich nicht denke: Lass mal schnell „Posthaus XYZ“ anfragen, sondern „Lass mal schnell Caren anfragen“ sagt uns: It’s Personal. Caren sagt auch gleich: „Na klar, lass uns das folgendermaßen angehen, a,b,c, ich kalkulier dir schnell was.“ Und dann wird Caren krank und übergibt das einer Kollegin. And then it all goes downhill.

Erste email von der Vertretung: „Haben wir uns angeschaut. Kannst du uns noch mehr Info geben dazu, was ihr in camera löst und was nicht pro Szene?“

Okay, fair enough, denke ich. Meine Antwort: „Wie mit Caren besprochen ist das alles noch nicht definiert; wir müssen uns gemeinsam trauen das einzuschätzen und dann versuchen in diesem gemeinsam gesetzten Rahmen zu bleiben. Geht das?“ Will sagen: Ich erwarte von DIR, dass DU dir da eine Einschätzung zutraust, und nicht daß ich alle deine Fragen beantworte und am Ende von ganz allein eine Zahl herauskommt. Daß du persönlich einschätzt, was wir brauchen und ob & wie ihr das delivern könnt. Das ist der personal touch, den ich brauche, um weiterzukommen. Sonst kann ich den Job ja gleich selber mitmachen.

Zweite email: „Kein Problem, wir inkludieren unsere Grundannahmen in das Budget als Ausgangspunkt für eine Diskussion“

Okay, geht doch. So weit war ich mit Caren schon vor meinem ersten Anruf, aber gut. Jeder muß sich ja erstmal eingrooven.

Dritte email von einer weiteren Kollegin, die aus den CC-Tiefen des email-Verkehrs auftaucht: „Gibt es noch eine jüngere Version der DI? Wir brauchen  auch noch clarification in Sachen was wird vom Art Department gebaut und passiert in camera, und was ist CGI?“

Das ist der Moment, an dem ich aussteige. Natürlich weiß ich, das auch Caren nur das Frontend einer insgesamt tatsächlich gigantischen Maschinerie ist in mehreren Städten, das bin ich ja auch oft. Keine One Woman Show, die das alles persönlich delivert, was wir besprechen. Das ist mir aber egal. Sobald ich nämlich wittere, dass sich eine Post Producerin nur hinter ihren general procedures verbarrikadiert, damit auch ja keiner einen Fehler macht, habe ich schon keine Lust mehr. Das wird dann so weiter gehen, das ganze Projekt über. Und meist wird dann auch noch so viel Safety Buffer einkalkuliert, daß es sowieso unbezahlbar wird.

Daß man jemand wie Caren findet, auf Post Production Seite, aber auch auf Produktionsseite, ist ja selten. Aber warum? Weil Personal Business für alle Producer immer ein Drahtseilakt ist, den sie nie selbst zu 100% kontrollieren können. Schaun wir uns mal die schlechteste aller outcomes dieses Drahtseilaktes an. Ich habe schon Producer brutal scheitern sehen, weil in ihrer Person und ihrer Performance zu oft Coporate Culture / Corporate Vorgaben kollidiert sind mit ihrem Anspruch, daraus etwas Persönliches zu machen, etwas, worauf alle Bock haben, wo etwas Tolles herauskommt, wo keiner verarscht oder verfeuert wird. Wer kennt nicht jemanden aus der Produktion, der immer gut gelaunte Performance hingelegt hat bis man auf einmal hört „Ja, hmm, ist jetzt leider erstmal raus, burnout und so“.

Mein Verdacht: die konnten in ihrem täglichen Handeln nicht zur Deckung bringen was sie gern delivert hätten und was die Company, für die sie gearbeitet haben, delivert hat oder ihr/ihm erlaubt hat zu delivern – oder sie gezwungen hat einzufordern. Ich glaube auch, in dieser Branche werden zu viele Leute einfach laufen gelassen, die nicht gut genug auf sich selbst aufpassen (können); man nimmt die Vorteile von deren persönlicher Performance gern in Kauf und setzt ihnen zugleich oft Business Realitäten hin, die sie auf Dauer nicht bedienen können. Wenn dir das als Producer ständig passiert bist du einfach irgendwann durch. Das kann daran liegen, daß du es selbst zu schlecht einschätzen & managen kannst; aber auch daran, daß es in bestimmten Arbeitsumgebungen einfach grundsätzlich zu schlecht einschätzbar ist. Und ich rede nicht von den täglichen Fallstricken des Projektgeschäfts.

Will sagen, du mußt dir wirklich genau die Corporate Culture angucken in die du dich da reinwirfst schon auf Seiten der Company, für die du antrittst: stehen die für das ein, was du tust und versprichst und moderierst, oder machen sie ganz schnell einen Schritt zurück und verstecken sich hinter irgendwelchen corporate Vorgaben wenn’s mal ernst wird? Kommunizieren sie klar und deutlich, was sie erwarten, was du versprechen darfst und kannst, und wie verläßlich sie selbst delivern, was sie dich versprechen lassen?

Und du mußt ein wenig haushalten mit deinem Anspruch, Personal Business zu machen, weil es eben nie nur personal sein kann, sonst trägt es dich als Person irgendwann aus der Kurve.

Natürlich ist es auch immer eine Frage der Perspektive: wenn ich selbst von jemandem Leistung abfrage – einer Post Production, einer Servcie Production Company – hab ich’s gern so personal wie möglich, dann will ich Verbindlichkeit herstellen nicht nur durch irgendwelche Verträge, Unterschriften etc., sondern dadurch, daß mir jemand verbindlich das Gefühl vermittelt, daß ich von ihm das bekomme, was ich erwarte.

Wenn ich dagegen selbst Leistung erbringen soll – gegenüber einer Agentur, einem Kunden – dann kenne ich auch die Tendenz, sich hinter der Company und hinter „business as usual“ Procedures zu verstecken, weil das ja auch viel Druck wegnehmen kann von dir selbst: „Ich würd’s dir ja gern genau so anbieten, aber WE DON’T DO THAT HERE“. Aber das fühlt sich meistens falsch an.

Man könnte vielleicht sagen, die große Kunst der Producer ist es, daß sich das Business „personal“ anfühlt und dabei trotzdem soliden Business Standards genügt. Und das eben nicht nur bei der Vakoofe – da kann jede/r geschmeidig und heiter sein, sondern das muß belastbar sein & bleiben das ganze Projekt über bis zum fertigen Master.

Commercial Culture Clash, pt. 2

Schaun wir nochmal auf diesen tollen Clay-Shirky-Post, den melke ich jetzt noch für 5 weitere Beiträge, macht Euch drauf gefaßt:

„Mitte der 90er Jahre baten mich Freunde bei AT&T, ihnen zu helfen, das aufkommende Webhosting-Geschäft zu verstehen. Sie dachten, dass die berühmte „fünf 9er“-Zuverlässigkeit von AT&T („Dienste, die 99,999 % der Zeit funktionieren“) dabei hilfreich wäre, aber sie konnten einfach nicht verstehen, wie 20 Dollar pro Monat, der damals übliche Preis, die Kosten für gutes Webhosting decken könnten, geschweige denn einen Gewinn abwerfen.

Ich beschrieb ihnen das Webhosting, das ich benutzte, und die Praxis, Websites lokal zu entwickeln, sie hochzuladen und dann zu überprüfen, ob etwas nicht funktionierte. „Aber dann änderst du ja Dinge auf der Live-Site!“ Das erklärten sie mir in einem Ton, in dem man kleinen Kindern erklärt, warum man kein Bleichmittel trinken sollte. „Oh ja, es ist mies“, sagte ich. „Manchmal stürzen die Server ab, und wir müssen von vorne anfangen.“ Am anderen Ende der Leitung herrschte eine lange Stille, wie sie für Telefonkonferenzen typisch ist, wenn eine ganze Gruppe innehält, um nachzudenken.

Die AT&T-Leute hatten richtig verstanden, dass die Einnahmen von 20 Dollar pro Kunden nicht für ein gutes Webhosting reichen würden. Was sie nicht verstanden hatten, ja, was sie aus professioneller Perspektive nicht in der Lage waren zu verstehen, war, daß die erfolgreiche Branchenlösung schlicht darin bestand, eine Leistung anzubieten, DIE NICHT BESONDERS GUT WAR.

Für die AT&T-Leute war das nicht so sehr deprimierend als vielmehr verwirrend, das war kein Markt, in den sie einsteigen würden: nicht weil sie nicht WOLLTEN, sondern weil sie es nicht KONNTEN.

Es wäre leicht, das kurzsichtig zu nennen, aber das würde die Bedeutung ihrer professionellen Kultur ignorieren. Ein ganzes Jahrhundert lang hat AT&T auf Qualität gesetzt – die betreiben ihr eigenes Stromnetz, um auch bei öffentlichen Stromausfällen einen Wählton zu haben! Wie die meisten Unternehmen konnte AT&T nicht gleichzeitig gut in einer Sache sein, in der sie gut waren, und gut in der entgegengesetzten Sache. Das Webhosting-Geschäft, das dem Modell „Einfachheit zuerst, Qualität später“ folgte, stellte nicht nur einen neuen Markt dar, sondern erforderte auch neue kulturelle Imperative.“

So. Und jetzt ersetzen wir in dieser Geschichte AT&T durch „Werbefilmproduktionsfirma“ und Webhosting durch „Insta-Filme.“

Derselbe Clash von professioneller Kultur ist nämlich im Gange bei uns Werbefilmherstellern, die immer stärker in der Pflicht sind, sich mit den neuen Formaten auseinanderzusetzen nach dem „Tentpole“-Ansatz: unser Kerngeschäft, der klassische TVC, ist immer noch der Tentpole, das tragende Zentrum einer Produktion, aber darum herum werden zunehmend mehr und mehr kleine Zelte, ganze Zeltstädte errichtet: Making Ofs, Fotoshoots, Social Media Content Units etc., die wir sämtlich mit bedienen dürfen/sollen/müssen. Und zeitgleich ist ein massiver Shift im Gange von Marketing Budgets hin zu den neuen Formaten – angeblich ist 2021 zum ersten Mal in der Geschichte unserer Branche das Volumen an TV Werbespendings ZURÜCKGEGANGEN. Panikknopf drücken bitte JETZT!

Wo genau ist denn jetzt bei uns der Culture Clash? Wir erinnern uns an die Prämisse von Shirky’s Artikel – die Tendenz von komplexen Systemen wie der Werbefilmproduktion, immer komplexer zu werden, und die darin eingebaute Drohung, nicht mehr zurück zu können mit der Gefahr, dass Shocktests nur noch zum Kollaps führen können, weil das Runterfahren von Komplexität unmöglich ist oder erscheint.

Das wird uns in aller Deutlichkeit vor Augen geführt wenn wir die neuen Formate mit covern: das geht natürlich nur bei im Vergleich zur TVC-Herstellung massiv reduzierter Komplexität – sonst hätten wir noch 3 PPM mehr und bräuchten das x-fache an Budget. Wir müssen also in unseren TVC-Producer-Köpfen dafür ein paar Gänge zurückschalten um das möglich zu machen. Das ist gar nicht so einfach, hält aber frisch und strahlt ja auch auf das sonstige Produzieren ab, indem man mal wieder öfter sagt (zu sich selbst, zu allen anderen): „Come On. MUSS das wirklich so sein, oder geht das nicht auch ’ne Nummer kleiner?“ Aber das ist nicht der Punkt.

Diverse Werbefilmcompanies haben daraus schon eigene Abteilungen gemacht. Und da wird’s dann spannend: Stell dir vor, in Shirkys Beispiel hätte ein allmächtiger Brötchengeber AT&T dazu verdonnert, zusätzlich zu ihrem Kerngeschäft „Telecom“ noch Webhosting mit anzubieten, auch wenn sie es weder konnten noch wollten, weil es eigentlich ihrer über Jahrzehnte gewachsenen professionellen Kultur massiv zuwider läuft. Stellt Euch dazu noch vor, dieser allmächtige Brötchengeber würde dazusagen: „So, und das ist die Zukunft, die Euer Kerngeschäft auf absehbare Zeit ersetzen wird – Telefonieren ist ja soooo 90er – und deshalb werden wir einen immer größeren Teil unserer Brötchen dahin geben. Und jetzt macht mal!“

Denn genau das ist es, was bei uns passiert. Und es fühlt sich an, als hätten wir gar keine Wahl: entweder wir machen das, oder jemand anderes macht es (und macht perspektivisch immer mehr, und wir immer weniger). Da machen wir es doch lieber zähneknirschend selbst, auch wenn es für uns oft so aussehen mag wie mieses Webhosting aus der Sicht von AT&T.

Ich beobachte dabei zweierlei mit großer Aufmerksamkeit: erstens die Tendenz, die Ansprüche aus der Werbefilmwelt auf die neuen Formate zu übertragen, was ja nur zu verständlich ist: Warum sollte ein High End Autohersteller sein Produkt schlechter aussehen lassen wollen, nur weil es nicht in einem klassischen TVC abgefeiert wird, sondern in einem speziell für Insta hergestellten Format?

Haarig wird das immer dann, wenn versucht wird, sich um die daraus resultierenden Budgetimplikationen zu drücken. Stellt Euch vor, ihr habt im Agentur-Briefing neben dem klassischen TVC eine Passage zu Neuen Formaten, Seite 117. Ihr bietet das an als etwas, das die Social Media Unit parallel zum TVC Shoot schnell, unkompliziert und günstig covert. Warum auch nicht? Steht doch groß „SoMe Content in 9:16 & 1:1“ drüber! Aber plötzlich wird von euch verlangt, dass die Neuen Formate auf Seite 117 von der Main Unit gecovert werden, mit Technocrane, Regie, DP und allem. Dieser Clash von alter und neuer Welt manifestiert sich dann auf einmal sehr konkret in Kosten-Unterschieden von einem hohen fünfstelligen Betrag, und das hoffentlich noch VOR Auftragserteilung, dann kann man nämlich sich noch einigen und die Erwartungshaltungen abgleichen, sprich: Ansprüche runterschrauben, oder Budget raufschrauben.

Und das zweite ist das, was ich gern die „Siehste, geht doch“ Perspektive nennen möchte. Das ist es ja, was die neuen Webhosting Kunden im Shirky-Beispiel garantiert zu ATT gesagt haben: „Siehste, geht doch!“, die Kurzversion von: „Webhosting geht auch für die Hälfte, ich pfeife auf Euren professionellen Ansatz“. Die kenne ich schon aus Musikvideozeiten, wo man jeden Anspruch auf Komplexität, Professionalität, und damit, Oh Gott!, KOSTEN rechtfertigen musste gegenüber einer Kundschaft, die einem tendenziell immer Betrug, Scharlatanerie und Kostentreiberei unterstellt hat (nicht immer zu Unrecht…). Und immer, wenn wieder ein billigst hergestelltes und aussehendes SCOOTER Musikvideo auf Rotation ging, wurde diese Sorte Kundschaft wieder mit diesem triumphalen Satz bei mir vorstellig: „Siehste, geht doch“.

Auch wenn es in der Werbefilmwelt eine größere Professionalität und Wertschätzung von Qualität geben mag, so findet sich doch auf Kundenseite eine vergleichbare Perspektive: „Ja, muß das denn wirklich immer sein?“ Da kannst du noch 100x antworten „Wenn’s gut werden soll, dann ja“. Wenn du aber gleichzeitig für sagenwirmal 10.000 Euro Mehrkosten zum TVC noch zusätzlich diverse Neue Kanäle mit qualitativ hochwertigen Inhalten füttern kannst (weil du musst…), dann sagen sich die Kunden doch auch irgendwann: „Siehste geht doch“ und versuchen, a) immer mehr Zeugs zu den günstigen Bedingungen dazu zu bekommen und b) im schlimmsten Fall fordern sie, dass die Produktionsbedingungen für unser Kerngeschäft sich immer mehr nach den Bedingungen der Beiprodukte gestalten: TVCs zu Insta Content Bedingungen. Und natürlich ist diese Perspektive auch nicht IMMER unberechtigt, weshalb wir natürlich immer uns fragen sollten, ob die über Jahre akkumulierte Komplexität unserer Prozesse wirklich notwendig ist für ein gutes Ergebnis, anders gesagt: wann stimmt es auch tatsächlich, wenn wieder mal einer sagt „Siehste, geht doch!“. Aber als beherrschende Perspektive auf unser Business ist das nicht hilfreich.

Was tun? Was geht denn bei dem Aufeinandertreffen dieser beiden Welten, und was geht nicht? Ich versuch’s mal ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit mit meinen Top 4 Erklärbärsätzen (ein Wort mit 3 „Ä“!) zum Culture Clash zwischen Werbefilme produzieren und InstaContent produzieren:

  1. Wir können Pakete mit günstig zusätzlichem Content nur dann anbieten, wenn nicht gleichzeitig die Produktions-Bedingungen unserer Kernprodukte in Frage gestellt werden. Dann gibt es nämlich irgendwann keine Spill Over Effekte mehr: Wenn ich mir für den TVC keine tolle Location mehr leisten kann, dann wird auch der Insta Content nicht gut aussehen. Also bitte etwas mehr Zurückhaltung an der „Siehste, geht doch“ – Front.
  2. Wir können zusätzlichen Content nur günstiger anbieten wenn wir auch in der Umsetzung mehr Freiheiten haben und sie nicht mit dem selben Kontrollwahn, demselben Micromanagement, Framefucking & Pixelgeschubse herstellen müssen wie einen TVC. Sonst müssen sie halt ganz schnell auch genau so viel kosten wie ein TVC.
  3. Wir können nur ein gewisses Maß an zusätzlichen Formaten zusätzlich covern, ohne daß das Hauptprodukt und die Produktionssicherheit insgesamt leiden.
  4. Das Zusammenrühren schafft nicht nur Synergien, sondern auch zusätzlichen Aufwand für alle Departments, und den muß jemand bezahlen. Da ergibt sich nicht alles einfach von alleine weil wir eh schon alle so lustig beisammen sind und einen TVC drehen: „Ein Making Of…? Kein Problem. Ein paralleles Fotoshoot? Ja, na gut. Noch ein Social Media Team am Set? Knirsch, na gut. 250 Abformate in der Post, die aus all diesen Quellen zusammengepuzzelt werden? Jup, machen wir auch noch.“ Wer kümmert sich denn dadrum eigentlich? Wahrscheinlich ein Producer. Oder zwei. Oder drei. Insgesamt rund 3 Monate lang. Dann kann man aber nicht zugleich immer noch nur 15 Producertage bezahlen wollen wie im Jahr 2001, als wir ein Master eines 20-Sekünders gefinisht haben und damit war Schluß.

To be continued!

Komplexität & Kollaps

Hier ist ein interessanter Beitrag von Clay Shirky über den Clash von neuen und alten Business Modellen im Medienbereich. Eine echte Steilvorlage um sich zu fragen: Was haben wir Werbefilmer mit AOL und ATT gemeinsam, und was können wir tun, um nicht von deren Dinosaurier-Schicksal ereilt zu werden?

Du hast grundsätzlich zwei Möglichkeiten einen Profit zu erzielen, erinnert uns Shirky: Du hebst deinen Profit über deine Kosten, oder du senkst deine Kosten innerhalb eines verfügbaren Budgets so weit, daß was übrig bleibt.

Wie machen wir das? Wir Werbefilmhersteller sind ja grundsätzlich so aufgestellt, daß wir Drittkosten zusammentragen und ein Markup oben draufrechnen, das wir in einer idealen Welt tatsächlich dann auch als Profit übrig behalten (Alle, denen das bei den letzten 3 Projekten in Folge gelungen ist, bitte in die Kommentarspalte eintragen…), also eher Möglichkeit Eins.

Wir neigen dabei dazu, die Tendenz von Kunden und Werbeagenturen zu umarmen zu immer komplexeren, ja byzantinischen Strukturen und Procedures, weil das grundsätzlich in unsere Karten spielt: mehr Arbeit, mehr Drittkosten, mehr Markup, mehr Profit. Wer da mitspielt und immer schön „Ja, gerne!“ sagt, ist kurzfristig im Vorteil, und das nicht nur weil das Serviceorientierung vorspiegelt: „Ja, kein Problem, kalkulieren wir so.“ „Regie aus UK einfliegen? Dreh in LA, weil’s da so super ausschaut? Darsteller-Nutzungsrechte für fünf Jahre weltweit gleich mal vorab einkaufen?  Social Media Team andocken? Ja, Ja, und nochmal Ja!“ Kurzfristig hilft das zwar dem einzelnen Player, weil er, wenn’s die Budgets denn hergeben, mehr Umsatz macht. Langfristig ist das aber für das gesamte Ökosystem brandgefährlich. Warum?

Shirky zitiert Tainters „The collapse of complex societies“*: Was komplexe Gesellschaften wie das römische Reich, die Maya, die USA erschaffen, sind immer komplexer werdende Systeme. Der Catch: wenn es externe Anforderungen an diese Systeme gibt, sich anzupassen, downzusizen, etwa weil natürliche Ressourcen – Holz zum Schiffbau, Korn aus Ägypten, Produktionsbudgets – knapp werden, dann können die nicht einfach wieder einen Gang runterschalten, weil sie das nicht gelernt haben. Gelernt haben sie nur, immer sophisticatedtere Lösungen sich auszudenken. Die legen einfach immer noch eins drauf, verlagern ihre Hauptstadt nach Byzanz, erfinden dort jedes Jahr 300 weitere Beamtenposten mit Aufgaben wie „Kaiserliche Kopfkissenaufschüttler“ – bis ihnen der Sprit ausgeht. Sie kollabieren nicht deshalb, weil sie ZU WENIG sophisticated sind, sie kollabieren weil sie ZU SEHR sophisticated, zu komplex geworden sind.

Anders gesagt, was man eben eher selten hört & liest:

(Cäsar): „Oh, Ägypten hat Lieferprobleme? Kein Problem, dann schaffen wir die Prätorianergarde, die Triumphzüge und die Zirkusspiele halt wieder ab“.

(Werbefilmer): „Ooops, Marketingbudgets zusammengestrichen? Na gut, dann fliegen wir halt niemanden mehr für ein Meeting aus Los Angeles per business class ein. Und für die Fahrszene muss es ja kein Russian Arm sein, die covern wir halt wie früher aus dem VW Bus bei offener Seitentür.“

Stattdessen geht’s doch wohl eher so:

(Cäsar): „Beim Jupiter, kein Korn aus Ägypten?  Da hilft nur ein besonders fetter Triumphzug, auf daß der Pöbel bei Laune bleibt!“

(Werbefilmer): „Zusammengestrichen? Ja, wie soll ich denn mit dem Budget das Auto gut aussehen lassen? Sorry, da sind wir leider raus.“

Vereinfachung wird für uns tendenziell undenkbar & unmöglich, weil alles, was wir täglich praktizieren, tendenziell zumindest das Addieren von zusätzlicher Komplexität bedeutet: Unvorstellbar, daß man noch vor 10 Jahren ein PPM machen konnte, ohne vorher ein PRE-PPM zu machen (Neulich habe ich mit der Agenturproducerin das PPM-Booklet vor dem Pre-PPM durchgesprochen: Mein erstes Pre-Pre-Pre-Production Meeting). Noch unvorstellbarer, daß man Musikvideos drehen konnte ohne vorher ÜBERHAUPT ein PPM zu machen – KREISCH!

Downsizen erzeugt ein massives Unbehagen, ja, Leistungsverweigerung bei denen, die es gewohnt sind, immer mehr Layer an Komplexität zu addieren, schreibt Shirky. Und das stimmt: Ich kann von dem Schock berichten, den ich jedes Mal bekomme, wenn ich mir 10 Jahre alte Budgets anschaue, die ich selbst gemacht habe: „Was? Mit so einem kleinen Team? Mit so wenig Servicebudget haben wir diesen Film gemacht? UN-Friggin‘-FASSBAR!“ Wenn das über Jahre aber immer extremer wird, und dann, um nochmal die Dinosaurieranalogie zu bemühen, ein Meteorit einschlägt, wenn also eine externe Krise (Corona, anyone?) von allen verlangt, runterzuschalten, kleiner zu denken, Abstriche zu machen, dann müssen wir aufpassen, daß uns nicht der Totalausfall als letzte verbleibende Möglichkeit bleibt – Kollaps als die letzte verbleibende Option zur Vereinfachung: „Sorry, dann dreht den Film halt ein Influenzer mit dem Iphone. Bzw mit so einer billigen Android Gurke. Mir doch egal, ich weiß jedenfalls nicht wie wir das stemmen sollen.“

Will nur sagen: Man muß sich einen klaren Blick dafür bewahren was wirklich wichtig ist und was nur aus Betriebsnudeligkeit dazugekommen ist und ständig neu hinzukommen möchte. Was man nur macht, weil die Konkurrenz das auch macht, die gute alte Rüstungsspirale. Oder weil der Agenturproducer sagt daß der Kunde das geil fände. Oder weil mehr Leistung gleich mehr MarkUp. Oder oder oder – Gründe gibt es immer: Natürlich sind das auch die Kunden schuld, die immer mehr Leistung in immer kleinere Budgets quetschen wollen, aber es muß ihnen auch jemand sagen. Das sind wir.

Noch einfacher gesagt: Wer, wenn nicht wir Producer hat, finde ich, die kollektive Aufgabe, mit darauf zu achten, daß eben nicht alles immer komplexer und aufwendiger und teurer wird, und das auch gern regelmäßig anzumerken, und zwar sowohl bei denen, bei denen wir Leistungen einkaufen (eh klar!), aber eben auch bei denen, die Leistungen von uns einkaufen wollen. Reality Check, hallo!

Das ist kein vorauseilender Gehorsam gegenüber Cost Controllern oder jammernden Marketingabteilungen; das verhindert, daß wir ständig Level um Level die Komplexität anheben, bis keiner mehr zurück kann und wir alle kollektiv kollabieren. Das ist sowas wie Branchenhygiene – Selbstschutz für uns als Producer und für die Werbefilmwelt als Ganze.

*Joseph A. Tainter: „The collapse of complex societies“ 1990

Hope for the best, prepare for the worst

Wird schon schiefgehen. Paßt schon. Et hätt noch immer jot jejange, wie der Karnevalist sagt. Oder?

Nee, da machst du nicht mit. Das ist eine Frage der Statistik, irgendwann geht’s mal schief, und rate mal, wer dafür verantwortlich ist, daß es einen Fallback-Plan gibt, wenn das passiert. Kleiner Tip, du mußt dir so eine Stan & Ollie Komödie vorstellen: Am Set angelt sich der Elefant grade das Handy des Regisseurs, kaut drauf herum und schluckt es runter, und wird als nächstes voraussichtlich explodieren, kollabieren, sich erbrechen, was handyfressende Elefanten halt so tun, und daneben stehen alle in einer langen Schlange hintereinander, ganz vorn der Kunde, der dreht sich entsetzt zu seinem Marketing Manager um, der guckt den Agenturberater an, der dreht sich ratlos zum Agenturproducer um, und weißt du wen der fragend anguckt? Wer steht als allerletztes in der Schlange, und hinter ihm steht keiner mehr, den er fragen könnte? Yep, ge-nau. Das bist du.*

Der Hauptdarsteller bricht sich ein Bein, wo kommt ganz ganz schnell ein Ersatz her? Die Location wird von einem Unwetter den Berg herabgespült, wo dreht ihr stattdessen? Fragen, die du easy beantworten kannst inklusive Kostenimplikationen und wer die covert. Du schließt die Negativversicherung ab, und die Personenausfallschutzversicherung. Und die Sachschadenausfallschutzversicherung auch. Und die Schlechtwetterversicherung wenn sie denn der Kunde bezahlen möchte auch noch.

Du bist „Safety first, fun later“. Achtung Fangfrage: Wenn dein Regisseur einen 911er mieten möchte, um von Berlin nach Hamburg zum Schnitt zu fahren, vermutlich sehr schnell, sagst du dann: „Yes! I’ll get one too, let’s see who’s in Hamburg first!“: Oder bist du diejenige, die sagt „Maybe not this time, ich spendiere Deutsche Bahn Erste Klasse.“ Über Option eins weiß ich nichts, aber ich kann dir sagen wie Option zwei ausgeht: Das findet der dann doof, er rollt mit den Augen, er hält dich für spießig, aber dann ist er auf dem Bahnsteig immerhin massiv beeindruckt von der in seiner Heimat offenbar nicht bekannten Einrichtung der Wagenstandsanzeiger – irre, man sieht schon auf dem Bahnsteig, wo der Waggon hält, in den man einsteigen will. „Youuuu Gerrrrmans!“, der Mann ist wieder versöhnt. Schwacher Trost, aber wie gesagt: Fun later.

Fangfrage Zwo: Wenn der Rapper, mit dem du ein Musikvideo in der Schweiz drehen willst, kurz vor der Grenze sagt, er habe leider grade seinen Paß nicht dabei weil er auf Bewährung sei, den hätten die, Zitat, „Scheiß-Bullen behalten“, Zitatende, ob er nicht einfach im Kofferraum über die Grenze fahren könne – auch dies ein rein hypothetisches Szenario – sagst du dann: „Easy, Mann!“? Nein, das sagst du nicht. Jedenfalls nicht nochmal. Ich rate dringend ab.

Du bist übrigens auch derjenige, der weiß, welche Risiken dein Problem sind und welche nicht. Force Majeure? Kundenproblem. Wetter? Kundenproblem. Kundenpromi sagt ab? Kundenproblem. Neues Briefing, neue Kosten? Du ahnst es vielleicht schon: Kundenproblem. Aber die meisten anderen Sachen: Dein Problem.

Oder, warte mal: am Ende das Problem der Produktion, für die du arbeitest. Du bist nämlich auch dafür zuständig, zwischen Persönlichem und Business trennen zu können, und allen anderen dabei zu helfen, das auch zu schaffen. Wenn’s regnet und der Kunde deshalb einen soliden 5stelligen Betrag mehr zahlen muß, dann haben natürlich alle hektische Flecken im Gesicht, besonders die Agenturberater und die Marketingmenschen, weil keiner gern 50.000 Euro mehr ausgibt, aber, wie mal eine altgediente Londoner Produktionsfachkraft zu mir sagte, als zu Drehbeginn das Poolwasser auf einmal flaschengrün war statt azurblau wie im Agenturscript, und ich im Gesicht denselben Farbton bekam, weil Agentur und Kunde in 10 Minuten am Set aufschlagen würden: „Relax, honey. This is nothing personal. It’s business“.

Das vergessen wir ja alle gern mal bei dem ganzen ständig auf-dufte-machen und Du zueinander sagen: It IS business, zumindest auch (Ein Grund dafür, übrigens, warum ich Agenturmenschen duze, Kunden aber sieze…). Du kannst Agenturproducer und Kundenberaterin freundlich erklären was du anbieten würdest, damit so wenig Mehrkosten entstehen wie möglich. Die Kundenberaterin kann dem Marketingmensch und der wiederum seiner Cheffin erklären, daß man Pech mit dem Wetter hat, daß das ein Risiko war, von dem alle wussten, und dass jetzt Mehraufwand und damit Mehrkosten anstehen. Das ist anstrengend, aber für dich Superproducer weder überraschend noch eine persönliche Krise – niemand ist daran schuld, wenn du deinen Job gescheit gemacht hast, und das kannst du allen auch so verklickern, auch wenn alle noch so überrascht tun, will sagen: „Zahlen, und fröhlich sein.“ (Theo gegen den Rest der Welt, 1979)

*Ich habe das zugegebenermaßen ein wenig überspitzt dargestellt – als mir das das letzte Mal passiert ist, hat mir die Versicherung zumindest das Handy ersetzt. Man könnte also mit Fug & Recht sagen: hinter dem Producer steht seine Versicherung, wenn er denn, siehe Überschrift, seinen Job gescheit gemacht hat. Den Elefanten hätten sie auch bezahlt, aber dem ist nix passiert, der hat einfach nach kurzer Zeit das kochende und schäumende Handy wieder ausgespuckt und tapfer weitergemacht. Profi halt.

Fest, Flüssig, Gasförmig

Mein Schulfreund Uwe, den wir alle Hauer nannten, weil er A) vom Bauernhof kam, und B) ordentlich zuhauen konnte, hat nach der zehnten Klasse eine Lehre ausgerechnet als Konditor angefangen. „Mensch Hauer“, hab ich gesagt, „Konditor – was machste denn da den ganzen Tag?“ So leicht war Hauer nicht in Verlegenheit zu bringen: „Aufgabe des Konditors ist es, Luft und Wasser schnittfest zu machen“. Das hatten sie ihm schon an Tag eins seiner Ausbildung beigebracht. 

GE-NI-AL! Kurz, knackig und real deep, so mit allen drei elementaren Aggregatzuständen und so – in Wahrheit wünsche ich mir immer noch, daß mir einer eine vergleichbar griffige Formel für die Frage anbieten kann, was denn ein Producer, ja gar eine Produktion macht. Und solange mir das keiner liefert, übernehme ich einfach die Konditordefinition – danke Hauer!

Also: Die Aufgabe der Producer ist es, Luft (Look & Feel, Regieideen, Humor) und Flüssiges (Moving Targets und Variablen wie Crewgagen, Art Department, Locations, Post Production Aufwand) zu einem Festpreis anzubieten und umzusetzen. TA-DAAAH! Ich hab noch keine bessere Definition gehört bisher, wenn Ihr eine habt, bitte gerne in die Kommentarzeilen. 

Als Producer sind wir die Alchemisten, die die Übergänge zwischen den Aggregatzuständen meistern, denn Am Ende Des Tages (5 Euro ins Phrasenschwein!) müssen wir einen Preis anbieten und den auch halten und mit ihm auskommen. Auf dem Weg dahin versuchen wir den Eindruck zu vermitteln, wir würden feste, belastbare, knallharte Fakten versammeln, wir würden eine Festung aus Granitblöcken aufschichten die Jahrtausende überdauert.

All das bierernste Excelgeschiebe (14 Seiten) und SCOPE Anschreiben Erstellen mit tonnenweise Faktensammlungen und hunderten Grundannahmen, Wenn/Danns, Inklusive/Exklusive etc…(nochmal 26 Seiten) – eine Menge Budenzauber, weil es auf teils seeehr flüssigen, manchmal gar heißluftigen Grundlagen beruht, die wir in unserem Angebot immer brav aufführen: 260-seitige Agenturscripte (neuer Rekord übrigens, liebe Agenturnachbarn aus Mitte, chapeau!), 50seitige Regieinterpretationen, Agenturcalls etc… 

Und trotzdem kleben wir per Angebot oben drauf ein einziges Preisschild, und das ist so fest, dass es sogar einen entsprechenden Namen dafür gibt, den FESTPREIS. Und der muß halten, egal wie sehr all das, was darin versammelt und abgebildet ist einem durch die Hände gleitet und glitscht, sich in Luft auflöst, sich verflüchtigt, ändert, verwandelt, angepasst werden muss etc. Der Festpreis heißt Festpreis weil er FEST bleibt.

Ich sage nicht, daß es besser wäre Festungen zu errichten – wir wollen ja tief in unseren Producerherzen lieber möglichst flexible Rahmenbedingungen schaffen, um allen Beteiligten die Ausübung ihrer Kunst zu ermöglichen, die notwendigerweise mobil, formbar, variabel bleiben müssen; aber erklär das mal einem Kunden – um diese Rahmenbedingungen zu bekommen, MÜSSEN wir so tun als ob wir grundsolide, unverrückbare Steine zum Festpreis schichten. 

Das macht die Diskussionen mit Cost Controllern im Vorfeld immer so lustig: „Pauly, im Art Department seid ihr deutlich teurer als die anderen, da müßt ihr runterkommen“. Da hilft nur eine Festungsbauer-Replik: „Ich hab das vom Production Designer auf Basis des Agenturskripts und der DI kalkulieren lassen; soundsoviel für Material, soundsoviel für Manpower, soundsoviel für Prep, soundsoviel für den Dreh selbst. Wenn wir da runtergehen, kann ich die in Aussicht gestellte Leistung nicht garantieren.“ Meine Antwort könnte auch viel flüssiger sein: „Well, was weiß denn ich? Kann sein, daß die dumpenden Mitbewerber recht haben. Kann aber auch sein, daß es am Ende das Doppelte kostet. Ich hätte Agentur und uns gern einen möglichst flexiblen Rahmen gespannt in dem man sich bewegen kann und Luft für kreative Bewegungen hat, dafür ist das prima kalkuliert, trust me.“ Ich rate eher ab: Die bessere Strategie ist meistens, zu belegen, wie sorgfältig es der große Alchemist geschafft hat, Luft & Wasser in Schnittfestes zu verwandeln. 

Die einzigen, die das Konzept des Festpreises nicht verstehen wollen, sind die Service-Produktionen. Naja, eigentlich will das NIEMAND verstehen, dessen Leistung wir einkaufen – „ja sorry, warn halt jetzt drei Tage mehr als ursprünglich besprochen, kostet halt 3.000 Euro mehr“ – aber bei den Serviceproduktionen ist das strukturell verankert und im Ernstfall tatsächlich auch ein massives Butgetrisiko. Warum?

Serviceproduktionen arbeiten nicht wie wir auf Basis eines Festpreises, sondern auf Basis von „Cost Plus“. Sie rechnen nach Aufwand ab, und weil sie deswegen ein deutlich geringeres Risiko tragen, bekommen sie auch ein geringeres MarkUp, in der Regel 10%, auf ihre Drittkosten. Wenn wir also eine Serviceproduktion mit der Umsetzung beauftragen, sind wir eingeklemmt zwischen dem Festpreis, den wir garantieren müssen, und der potenziellen COST PLUS Drohung auf Service-Seite. 

Natürlich sind auch alle Leistungen, die ich im Inland einkaufen würde für die Umsetzung potenziell „Cost Plus“ – wenn ich auf einmal doch einen Technocrane brauche, muss ich ihn halt aus meinem „Fixed Budget“ bezahlen. Der entscheidende Unterscheid ist, dass ich das im Inland sehr viel besser selber in der Hand habe und abschätzen kann, weil mein Mind Set dabei von vornherein das eines Festungsbauers ist: ich kalkuliere nur das, was ich auch als Festpreis garantieren kann. Das ist bei einer Serviceproduktion anders. Deren Mind Set ist auf „flüssig“ eingestellt, weshalb es meist wenig Sinn macht im Vorfeld einen Preis mit denen zu verhandeln oder sie im Preis zu drücken. Der Preis ist flüssig und deshalb im Vorfeld easy nach unten zu drücken – aber keiner garantiert mir, dass er da auch bleibt. Natürlich kann man ihnen durchgeben was man glaubt, ausgeben zu können; und eine gute Serviceproduktion wird auch nicht fahrlässig „Ja, geht schon…“ sagen, um dann im Nachhinein das doppelte zu berechnen.

Aber fest steht das nicht.

The Power Of „Ja, aber…“

„Anyone at any agency who understands filmmaking (…) knows that having somebody who can afford to give you an answer you don’t like is a valuable asset.” *

Es wird ja viel zu wenig „Ja, aber…“ oder gar „Nein“ gesagt. Unsere Branche scheint mir geradezu ein strukturelles, ein eingebautes „Toxic Positivity“-Problem zu haben: Hey, wir sind WERBER, wir jonglieren schließlich täglich mit Ansagen wie „Du schaffst das“, „Das ist Dein Tag!“ „Just do it!“ yadda yadda yadda. Kein Wunder daß das so ist…

Dabei sind Widerspruch und Auseinandersetzungen bereits beim Pitch entscheidende, konstruktive Faktoren, und das schon innerhalb der Produktionsfirma.

Ich hatte mal einen Herstellunsgleiter, der mir den Arm um die Schulter legte und murmelte: „Pauly, du weißt ja: Film ist Krieg“. Und das war auch so: DER Film, den wir zusammen gemacht haben, WAR Krieg. Nie wieder Krieg, nie wieder Scripted Reality, habe ich daraus gelernt. Was nicht bedeutet, daß er Recht hat. Hat er nicht. 

Aber das Gegenteil funktioniert eben auch nicht: Toxic Positivity bringt dich in dem Business auch nicht weiter als bis zum ersten Jahresabschluß, da bin ich mir sicher. 

Was konkret heißt: beim Pitchen liegt idealerweise nicht alles in einer (Producer-) Hand, um zu verhindern, dass der schiere Wille zum Abschluß jedes Mal gewinnt – oder eben der schiere Unwille und die Besserwisserei von unwilligen oder überforderten Producern, die noch jeden Job zu teuer kalkulieren, einfach weil sie können und weil sie die Macht der Zahlen auf ihrer Seite wähnen („Ja natürlich muß man dafür einen eigenen Drehtag ansetzen, sonst wird’s halt Scheiße“).

Ein gutes Angebot ist vielmehr das Ergebnis konstruktiver Auseinandersetzungen zwischen zwei notwendigerweise antagonistischen Herangehensweisen:

  1. „Das schaffen wir schon für das Budget, das muß doch irgendwie gehen, let’s design it to budget“  
  2.  „Das sollten wir solide durchgerechnet haben bevor wir uns da die Finger verbrennen, sonst lassen wir es lieber – besser jetzt sagen „LEIDER LEIDER LEIDER“ als Mist abliefern weil das Budget für einen guten Film nicht reicht, oder gar draufzahlen. 

Diese beiden Herangehensweisen manifestieren sich gern in einer Produktion in den Positionen von Creative/Sales (1.) versus Bidding Producer (2., natürlich). Und sie treffen sich beide in der Person der/s Executive Producers, der/die natürlich immer gern einen neuen Job an Land zieht, aber eben auch so unsexy Vokabeln wie DECKUNGSBEITRAG nicht ignorieren kann. 

Insgesamt ist das ein begrüßenswertes Setup: Es bewahrt dich als Producer davor, diese Fights mit dir selbst austragen zu müssen und darüber schizophren zu werden – oder aber gefährlicherweise regelmäßig die eine oder die andere Seite überzubetonen. Will heißen: Immer zu billig anzubieten weil du verkaufen willst, und deshalb schlechte weil unterbudgetierte Filme abzuliefern oder pleite zu gehn; oder eben nie einen Pitch zu gewinnen weil du immer übergenau und damit zu teuer kalkulierst.

Es bewahrt dich außerdem davor, senil zu werden und immer dieselbe Schallplatte abzuspielen: „Ja klar kann man die Darstellerbuyouts auf 500 Euro runtersetzen und mal gucken, wer so reinkommt beim Casting. Aber die Chance ist leider sehr hoch, daß da nur die Unfähigen und Unansehnlichen aufschlagen“, z.B. habe ich schon ein paarmal gesagt / geschrieben / gebrüllt. Stimmt, aber eben auch nicht immer.

Und zugleich hilft es der Sales-Seite, das Projekt zu überleben, wenn es denn kommt, und vielleicht sogar noch etwas Spielraum für kreative Entscheidungen zu haben, weil du im Sinne aller ein belastbares Budget gerechnet hast.  

Also: Notorisches Sicherheitsdenken ist keine Tugend. Toxic Positivity aber auch nicht. Keine der beiden Herangehensweisen ist per se richtig oder falsch. Sie müssen in jedem Pitch auf’s Neue zwischen allen Beteiligten ausgehandelt und nach Umsetzung auch rückblickend evaluiert werden, nur dann wird ein Schuh draus. Bzw. ein Film, idealerweise ein toller. Und eine erfreuliche Jahresbilanz.

*(What do production companies do? The Beak Street Bugle 2016)

You win some, you lose some

If you like to gamble/

I tell you I’m your man/

You win some, you lose some/

It’s all the same to me

(ACE OF SPADES, MOTÖRHEAD)

Schlechte Nachrichten für all meine Fellow Bidding Producer da draußen: Ihr werdet verlieren. Ständig. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache, und das sind nicht meine Zahlen: 78,3% wäre die statistische Mißerfolgsquote eines Pitches auf Basis der durchschnittlichen Anzahl an Pitchteilnehmern*; wenn man komplett abgesagt Pitches mitberücksichtigt, landet man irgendwo zwischen 80 und 85%.

Na klar, du bist natürlich besser als yours truly, du hast den Superpreis und den hotten Regisseur, hast die Spitzen-Agenturconnection und der Kunde liebt dich. Ich weiß. Aber trotzdem kommst du gegen die Statistik nicht an: selbst wenn du grade einen Run hast, selbst wenn dein Run gegen alle statistische Wahrscheinlichkeit über Jahre anhält, selbst dann wirst du häufiger verlieren als gewinnen. Deutlich häufiger, und das sehr regelmäßig – die Chancen stehen jedes Mal mindestens 4:1 gegen dich. Klingt Scheiße? Dann such dir besser was anderes. Wer nicht verlieren kann, der kann auch nicht gewinnen. Also gewöhn dich dran. Die Statistik kann auch trösten, alles eine Frage des Blickwinkels.

Versteh mich nicht falsch, ich sage nicht, daß du dir eine „Mir doch egal“ Attitude antrainieren sollst. Abgefucktheit hat noch nie jemandem geholfen. Ich sage nur: Erzähl dir selber keinen Quatsch. Toxic Positivity ist eben auch keine Lösung. Wer jedes Projekt angeht in dem Glauben, daß es jetzt ja wohl auf jeden Fall klappen müsse müsse MÜSSE, der/die machts nicht lange. Und gut macht sie es auch nicht. Du gewinnst auf Dauer 1 gegen 4; aber eben auch nicht jedes fünfte Mal, so funktioniert Statistik leider nicht, du verlierst gern auch mal 10 hintereinander. Ist so. Hör halt öfter Motörhead:

I know I’m born to lose/

And gambling is for fools/

But that’s the way I like it, baby/

I don’t want to live forever

…And don’t forget the joker…

Lemmy knows best, und er will dir sagen: Du musst für dich zum einen beschließen, dass du es ganz genau so haben möchtest; und du solltest zum anderen trotzdem immer auf der Suche bleiben nach dem Joker, der Karte, die dir vielleicht doch noch den Sieg beschert – der unerwartete Rabatt, den du ausgehandelt hast, um das Budget runterzubekommen; die Regieinterpretation, die auf einmal doch viel schlauer ausfällt als alle gedacht hatten; die märchenhafte Location, die deine rumänischen Servicepartner am Ufer des Schwarzen Meeres gefunden haben, praktischerweise noch in einem der günstigsten Länder der Welt. Das kann er sein, dein Joker, und plötzlich gewinnst du wieder eins.

Und dann kommt die nächste Anfrage.

*Oliver Castendyk, Die Werbefilmproduktion in Deutschland, Hamburg 2016, S. 18; https://www.hamburgmediaschool.com/assets/documents/Forschung/Die_Werbefilmproduktion_in_Deutschland_-_Druck.pdf

Am Anfang War Das Script – 2von2

Damit wir hier nicht im Handwerk und im Klein-Klein versinken, treten wir nochmal einen Schritt zurück und fragen: Habe ich wirklich verstanden worum es in dem Script geht? 

Um spektakuläre Locations? Dann musst du vielleicht unbedingt nach Neuseeland, weil die Jahreszeit dir woanders gar nichts gestattet. 

Oder gehts um Regie-Humor, um Dialoge & tolles Casting? Dann kannst du auch in Europa für kleines Geld (aber mit guten = teuren Darstellern) drehen.

Geht’s um Geld? Also um Geld sparen? Dann kalkulierst du nicht die schönste, sondern die günstigste Art das umzusetzen.

Vielleicht geht es auch um „wir wollen mal wieder nach Kapstadt?“ Dann brauchst du nicht drüber nachdenken, den Orangensaft-Film, der auf Sonne gescriptet ist, in Rumänien INTERIOR zu kalkulieren, auch wenn’s budgetär viel mehr Sinn machen würde.

Die Frage „Worum geht’s eigentlich?“ beantwortest du dir am besten, indem du dem Script ein budgetrelevantes Label umhängst: „Das ist ein Dialogfilm“. „Das ist ein Car Porn Film“. Food. Beauty. Location. Humor. ETC. Anhand dieses Labels kannst du auch später immer wieder gegenchecken, ob du auf der richtigen Bahn bist: „Brauche ich für einen Beauty Film ein internationales Glam Team, oder reicht die lokale Make Up Kraft aus Kasachstan?“ Ersteres.

„Ist es für einen Humorfilm entscheidend, ob er auf 35mm oder auf dem iphone gedreht wird?“ Nope.

Nota bene: Das alles passiert am besten BEVOR du überhaupt dein Kalkulationsformular aufgemacht hast.

Natürlich bist du nicht allein auf der Welt und kannst frei entscheiden, wie’s denn weitergehen soll auf dem Weg zum gewonnenen Pitch… Natürlich kommen im weiteren Verlauf diverse Modifikationen, Einflüsse, Anforderungen auf dich zu, die dich dazu zwingen werden, dein Scriptverständnis und deinen Breakdown anzupassen. Hier sind ein paar davon:

Der Regiecall: Die Agentur erläutert ihr eigenes Verständnis des Scripts. Jede Menge Raum für „Ach soooo war das gemeint“ Momente…, jedenfalls die perfekte Gelegenheit um sicherzugehen, dass du auch dasselbe verstanden hast, was die Verfasser:innen gemeint haben.

Der Regie-Approach: Regie hat gern & oft einen ganz eigenen Zugang, den sie im Gespräch andeutet und im Treatment ausführen wird. Wenn sie das nicht modifizieren wollen würde & dem Script ihren ganz eigenen Stempel aufdrücken wollen würde, wofür bräuchte man sie dann?

Die Budgetvorgabe: Auch wenn du einen „bottom up“ Breakdown gemacht hast („das hier wollen wir alles drehen, dafür brauchen wir x Drehtage, und die kosten y“) – jemand hat zuvor „top down“ ein Budget ausgerufen („wir haben xyztausend euro, seht bitte zu, wie ihr das dafür umgesetzt bekommt“) und das gibt dir oft genug vor, wie viele Settings du in wie viele Drehtage pressen musst, um das Budget nicht explodieren zu lassen.

Aber nur wenn du selbst einen Breakdown gemacht und ihn vielleicht sogar mit Regie gegengecheckt hast, dann hast du eine feste Basis, von der aus du modifizieren kannst. Und argumentieren. Eine Basis, auf der du am Ende ein Angebot abgeben kannst, das du selbst verantworten kannst. 

Wenn du das nicht gemacht hast, dann rennst du immer nur hinterher und in drei Richtungen gleichzeitig: „Mist, Regie will noch einen Heli, soll ich das wirklich kalkulieren, zeitgleich will aber Agentur alle packshots und alle Szenen in den das Produkt vorkommt doppelt drehen, weil die Produktpackung für andere Länder anders aussieht; und der Kunde hat nur 350tausend, ja wie bringe ich das denn alles zusammen?“ Ganz einfach: indem du auf Basis des Scripts einen Plan machst – deinen Breakdown! – und dann versuchst, diesen Plan an all die 1000 unterschiedlichen Anforderungen anzupassen oder eben nicht.

Das Script, genauer: dein Scriptverständnis, ist in all diesen Anpassungsrunden dein Verbündeter, du argumentierst immer vom Script aus und von dem, was seine bestmögliche Umsetzung erfordert. 

FALSCH: „Nein, wir können auf keinen Fall noch einen parallelen Fotoshoot in den Drehtag quetschen, bloß weil der Kunde kein Geld für einen eigenen Fotoshoot Tag ausgeben will.“

RICHTIG: „Alles ist möglich. Ich gebe aber zu bedenken, dass wir nur 10 Stunden Tageslicht haben und dass der Drehtag zu 100% für die Shots verplant ist, die es braucht, UM EUER TOLLES SCRIPT ADÄQUAT UMZUSETZEN. Wenn wir noch ein paralles Fotoshooting ansetzen sollen, dann müsste Ihr mir bitte einmal durchgeben, an welchen Stellen ihr Abstriche beim Script machen könnt.“