Artificial Film Production

Hier ist ein typischer Moment, den alle ProducerInnen da draußen schon oft genug erlebt haben: Das Agenturproducing schickt dir einen Mood-Film, an dem die Agenturkreativen lange geschnitten haben, alles auf Basis von gefundenen Szenen. Der Film hat sagenwirmal 30 Szenen an 30 unterschiedlichen Sets. Jede Szene ist nur 2-3 Sekunden lang. Es gibt 30-40 Darsteller plus 30-40 Extras. Ein Voice Over führt durch den Film, und die Szenen illustrieren, kommentieren, konterkarieren sehr clever das, was das VO sagt, geschnitten in ADHS -TikTokTempo.

Und das ist aus meiner Sicht so ein typisches Agenturding: das Konzept – die eigentliche Domäne der Agentur – ist so stark, oder, neutraler formuliert, so dominant, dass die Details der Umsetzung, also unsere Producer-Domäne, nahezu egal werden. Das funktioniert so wie es ist, weil die Text/Bild-Kombi schlau und gut geschnitten ist. Was zur Folge hat, daß man unmittelbar denkt: Ja, und was können wir da noch tun? Eigentlich könnte man das schon so auf den Sender geben. Oder auf Tiktok, whatever. Wißt ihr was ich meine? Es fühlt sich unmittelbar so an, als wäre man als Produktion überflüssig, der Film ist doch schon fertig, den muß jetzt nur noch einer mehr oder weniger genauso runterkurbeln, und die spezifischen Dinge, die Regie oder Produktion auf dem langen Weg zum fertigen Film noch beitragen könnten, werden an seiner Qualität gar nichts ändern, weil er im besten Fall schon super ist so wie er ist. Am liebsten würde man den von zwei Produktionen und Regisseurinnen umsetzen lassen, um anhand der fertigen Filme genau das zu demonstrieren, aber geht ja leider nicht.

Ja, ich weiß, es gibt in Cannes nicht umsonst einen eigenen Lion für Film Craft, und das ist auch wahnsinnig wichtig, da die weltweit besten Spezialisten ranzulassen für Regie, Casting, Production Design, Musik, Kamera etc., aber seien wir mal ehrlich: nicht immer. Wenn man noch ´ne Runde weiterdenkt, ist man bei dieser Art Moodfilmen schon fast erschöpft bei der Vorstellung, wieviel Mühe da reingehen muss, um das „nur noch“ nachzubauen. Also, radikaler Vorschlag, machen wir das doch einfach nicht, sondern sagen der Agentur: Toll gemacht, nehmt’s doch bitte einfach wie’s ist, bittschön!

Würden wir ja vielleicht auch machen, wenn uns nicht neben der Gefahr, uns selbst überflüssig zu machen, einzwei Probleme davon abhalten würden:

Problem 1: Die Rechte. Haben wir nicht, finden wir nicht, kriegen wir auch nicht. Und wenn doch, dann können wir’s uns wahrscheinlich nicht leisten.

Problem 2: Die, pardon my French, Frickelsucht der Kreativen. Besser geht halt immer: Nein, die eine Frau in shot 17 kann natürlich nicht rothaarig sein. Und der Mann in shot 22 ist zu korpulent. Und das Mobiliar ist zu 70ies und so weiter und so weiter. So weit, so egal für das Ergebnis, aber erklär das mal einem/r Kreativen!

Muß man also doch in einen „echten“ Film übersetzen, und da bleibt einem nur das übliche Prozedere, unser daily business: Riesenaufriss. Regiesuche, Pitch, Regieinterpretationen, -zig Kalkulationen, endlich dann Pitchgewinn und los geht’s mit fünfsechs Drehtagen im Osten damit’s irgendwie bezahlbar bleibt, schneiden, graden, onlinen, vertonen etc etc etc.

Und dieser Aufriss kostet ja, igitt! GELD, was gern beim Moodschnippeln erstmal ignoriert wird. Ichsagmal 800kilo bis eine Mio je nach Regie, Serviceland etc. Und da ist dann ganz schnell End of Story und lange Gesichter, erst recht wenn Agentur und Kunde denken, sie kommen mit 200k aus. Großes Staunen: Ja, wie kann das denn so teuer sein wenn man’s in echt macht, war doch so einfach zu schneiden! Aber selbst wenn nicht, selbst wenn sie wissen was es kostet, und das Geld beim Kunden locker machen können – was für ein Aufriss für eine eigentlich nur noch minimale Verbesserung, oder? Was für eine irre Diskrepanz zwischen Entwurf und Realisierung, neutraler formuliert!

Aber die Rettung ist nahe: AI wird diese Fälle für uns fixen, und zwar so gründlich, daß wir diese Filme als Produktionen gar nicht mehr auf den Tisch bekommen werden, weil sie die Agentur selber machen kann. Read my lips, Leute.

Eure Social Media Feeds werden ja auch überquellen von AI-generierten Bildern, oder? Dall.e 2, Midjourney – Text to Picture AIs mit spektakulären Ergebnissen. Noch besteht die Mehrheit der damit generierten Dinge aus schlechten Scherzen – „Thanos at Walmart, fighting a giant hamster“, Ha-ha. Noch sehen die meisten Sachen aus wie 70er Jahre Illustrationen in tschechischen SciFi Büchern. Aber das liegt nur an den Early Adoptern, die damit rumspielen, und dem Trash, der denen so durch die Birne rauscht. Lassen wir uns davon nicht täuschen: Das ist kein Spielzeug. Das ist eine Dampfwalze auf Ecstasy. Das geht jetzt rasend schnell weiter. Ich lese schon von ersten VFX Artists, die das an ihre VFX Pipeline anschliessen, die selber FLAME Plugins basteln, um das in ihren Workflow zu integrieren etc. Und die ersten „Text to BEWEGTbild“ AIs sind auch schon unterwegs (bin grade zu faul das zu verlinken: schaut mal bei Freund Timor Kardums linkedin feed vorbei, der hatte da neulich schon was in die Runde geworfen.)

Das „Text To Picture“ tool ist natürlich mindblowing, aber das tangiert ja eher die Concept Art Leute da draußen. Was im hier eingangs aufgebrachten Beispiel eher relevant ist, und was aus meiner natürlich professionell verzerrten Perspektive viel einschlägiger ist, ist die ebenfalls in der AI angelegte KERNKOMPETENZ des Agenturkreativen: nämlich VARIATIONEN sehen zu wollen. Dall.e 2 kann das in bewundernswerter Weise, schaut euch einmal an, was die aus dem Mädchen Mit dem Perlenohrring macht. Un-Friggin-Fassbar. Und wenn das bald auch für Bewegtbild und mit Menschen funktioniert, dann werden wir alle mit den Ohren schlackern. Noch schränkt Dall.e 2 das Bearbeiten von Menschen, Promis sowie diverse Schlagworte aus ethischen Erwägungen ein, aber da kommt bestimmt bald jemand aus maybe China, dem all diese Erwägungen sowas von mumpe sind, der bohrt das auf und dann geht da alles.

Und die Kombi aus all dem ist die bald einsatzbereite Werbefilm-AI, die achthunderttausend Euro schwere Lösung für das oben geschilderte Dilemma. Also, leg mal los, liebe AI:

Löse Problem eins: bearbeite alle Gesichter so, dass sie nicht mehr erkennbar sind. Damit lösen sich sämtliche Fragen nach Urheberschaft und nach dem Recht am eigenen Bild in Luft auf – wegen künstlerischer Überarbeitung, oder vielleicht sogar schon weil niemand auch nur mehr die Quelle darin wiedererkennen kann. Und das geht noch weiter, das ist radikal: Schaut mal nach dem Monkey Selfie Rechtsstreit. Auch der hat so eine Social Media – kompatible Oberfläche, wo man zuerst sagt: „Ach, guck mal, ein niedlicher Affe mit einem lustigen Selbstportrait, na und?“ Genau so erinnere ich meine erste Reaktion auf das Thema. ABER. Da hat ein Gericht in letzter Instanz geurteilt, daß der Affe, der auf den Auslöser gedrückt hat, nicht der Urheber sein kann, weil er keine juristische oder natürlich Person ist. Und damit ist laut Gericht NIEMAND der Urheber. Und dasselbe wird auch für von einer AI produzierten Content gelten: keine Person, keine Urheberschaft (schreiben jedenfalls ein paar Auskenner in WIRED, Achtung: paywall).

Will sagen: keine Rechte mehr, für die man bezahlen müsste, kein Recht Am Eigenen Bild, kein Urheberrecht. Vielleicht an dem ganzen Film dann, den ja wieder jemand zusammenschneiden muß, vertonen etc, das hat dann wieder eine gewisse Schöpfungshöhe. Aber das lässt sich der Kunde ja per total buyout von uns sowieso immer UNENTGELTLICH abtreten, anders als Darsteller, Sprecher bekommen wir kreativen Bettelmönche (Producer, Production Companies, Regisseure, Production Designer etc.) ja keinerlei eigene Vergütung für die Übertragung dieser Rechte. Wir bekommen unsere Arbeit bezahlt, und treten die Rechte am entstehenden Werk für umsonst mit ab. Das heisst, die Rechte sind schon weg – doof, wenn die Arbeit dann auch noch verschwindet.

Und dann löse auch noch Problem zwei: ENDLESS TWEAKABILITY, ein Paradies für Agenturkreative. Wenn die AI sich da eine Einstellung aus einem Moodfilm vornimmt und auf diese Einstellung die geballte AI-Power als Kombination aus „Mach mal ne Variation davon“ und der Text-to-Picture Kompetenz loslässt, die ja beide schon in den existierenden AIs angelegt sind, dann sitzen demnächst Horden von Agenturkreativen vor so einer Einstellung und tippen:

„Die Frau braucht einen Schnurrbart!“

„Der Schnurrbart könnte ruhig ein wenig länger sein. Und buschiger“.

„Mach das Wohnzimmer dahinter mal mit Teakmöbeln. Oder Eiche? Etwas heller, der Holzton. ‚Bitte‘ muß ich ja nicht schreiben, ist ja nur eine AI, oder?“

Aufgabe des Producers wäre es dann wahrscheinlich nur noch, irgendwann STOP zu rufen.

Aber, Trommelwirbel: den Film können sie dann auf Basis ihres Moodfilms ohne Produktion selber zu Ende machen, weil die beiden Probleme, die sie jetzt noch davon abhalten, nämlich die Rechtesituation und mangelnde Tweakability, gelöst sein werden.

Hoffe nur, dass sie dann das auch machen und daß die AI nicht nur benutzt wird, um die nächste Eskalationsstufe im Rüstungswettlauf um immer noch komplexere Regieinterpretationen zu zünden, die wir am Ende dann doch noch verfilmen müssen…

Anyways. Nachdem wir das jetzt ja mal als Zukunftsprognose mit 100%iger Eintrittwahrscheinlichkeit durchexerziert haben, und uns eigentlich als Produktionen schonmal darauf freuen können, daß sich diese Sorte Filme zukünftig von alleine produziert, bleibt als spannende Frage: Was bleibt denn dann eigentlich als Kernkompetenz des Filme Ausdenkens, und was als Kernkompetenz des Filme Machens übrig?

Mutmassungen und Protestgeheul bitte gern wie immer in die Kommentarspalten!

Haste mal ’nen Euro?

Musikvideo-related Facebook Post neulich: „Wer ist Fan von Band xyz und hat Lust als Komparse mitzumachen; ich schmeiß‘ ne Runde Bier“. Das ist völlig okay wenn’s wirklich um Fandom geht auf allen Seiten, Musikvideos sind eben ein toughes business (als business), und ich weiß, dass es bei diesem Projekt um eine Herzensangelegenheit geht. Ich hab aber auch schon oft genug erlebt, dass es am Ende um was ganz anderes geht.

Der Post erinnerte mich an ein zähes Budgetgespräch, das ich mal geführt habe. Das kulminierte in der Frage des Agenturproducers: „Ja, wollt ihr jetzt geilen Scheiß machen oder nicht?“ Das war wahrscheinlich irgendwie motivierend gemeint, hatte bei mir aber den gegenteiligen Effekt: Ich hab spontan gedacht „Ach weißte, wenn das alles ist was ihr zu bieten habt, sag ich mal spontan „Nö.“. Hab ich natürlich nicht gesagt. Wir haben uns stattdessen zum Xten mal plattquatschen lassen, ein Projekt zum halben Preis zu machen – zum Glück ausnahmsweise mit dem Ergebnis einiger Cote D’Azur-Trophäen. Aber trotzdem schüttelt’s mich bei der Erinnerung an diesen Dialog noch diverse Jahre später – warum eigentlich?

Lasst mich ein wenig weiter ausholen: Ich hab mal bei einem Musikmagazin gearbeitet, wenn ich mich recht entsinne als erster bezahlter Mitarbeiter, bei dem die Bezahlung grundsätzlich vor allem aus CDs bestand, die die Redaktion als Rezensionsexemplar geschickt bekam, aus Gästelistenplätzen für Musik Venues, und nicht zuletzt natürlich aus dem kuscheligen Gefühl, mit Gleichgesinnten in einer lustigen Musik-Nerd-Welt zu leben. Das hat Sinn gemacht und war mehr als fair enough für alle Beteiligten: Eine Bezahlung wie beim Tagesspiegel wäre einfach nicht drin gewesen, und das war auch allen Beteiligten klar. Die Existenz dieses Magazins stand und fiel mit dem Geschäftsmodell, und die Vorteile, die die Mitwirkenden damit für sich erzielt haben, waren zwar von außen betrachtet klein, aber es waren Vorteile, die für die Mitmachenden nur in diesem System und nur zu diesen Konditionen überhaupt erreichbar waren. Na klar hätten wir auch alle versuchen können Musikredakteur beim Rolling Stone zu werden, und da zu professionellen Konditionen zu arbeiten, aber das Angebot & die Chancen, es zu bekommen waren halt minimal & man konnte sich eben besser sein eigenes, wenn auch unterbezahltes Biotop schaffen. Soweit, so okay-hey.

Wenn das Geschäftsmodell aber ein anderes ist, als das eines Anzeigenblättchens mit 20tausender Auflage, das auf einem (DEM einen…) Mac in QUARK zusammengeschustert wird, sagenwirmal das Geschäftsmodell eines international aufgehängten Agenturnetzwerks mit zu recht solide bezahlten Kreativdirektoren etc., dann ist die Gleichung einfach eine andere. Wenn man als Akteur in so einem Laden grundsätzlich & regelmäßig versucht, Leistungen bei Dritten unter Marktwert einzukaufen weil man ja „geilen Scheiß machen will“, oder anders gesagt: den immateriellen Wert von Kreativität in handfeste materielle Vorteile, sprich marktunübliche Preise zu verwandeln, und wenn man das nicht ab & zu macht, wenn’s eben tatsächlich nicht anders geht, sondern das grundsätzlich und immer als Attitude vor sich herträgt: „Wir haben zwar (schon wieder) kein marktübliches Budget, aber dafür haben wir hier schon wieder einen Film geschrieben, der soooo cool ist, wenn du DEN auf der Rolle hast… next step Hollywood“, dann ist das auf Dauer irgendwas zwischen Bettlerei und Abzocke.

Ich sag gar nicht, daß das nicht ab&an legitim sein kann. In solchen Setups sind schon tolle Filme entstanden, die komplette Karrieren gekickstartet haben, und ohne das sehr spezielle Setup hätte es weder die Filme noch die Karrieren gegeben. Wenn es die Agentur schafft, dem Kunden klarzumachen, dass er der Kreation und der Regie mehr Freiheiten lassen muss im Austausch gegen unüblich niedrige Budgets, dann stimmt der Deal ja. Aber man muss das im Einzelfall sich anschauen und beobachten, ab welchem Moment das kippt. Für mich war der Moment da, als der Agenturproducer seinen Spruch vom „Geilen Scheiß“ abliess und sich das so anhörte, als habe er das schon hundert Mal gesagt. So, sorry, ich muß los, hab einen Komparseneinsatz für eine Band, die ich wirklich mag. Und Bier mag ich ja auch: Match made in heaven.

Mit der Unreal Engine auf dem Bauernhof

Wenn man im Jahr 1820, als rund 60% aller Beschäftigten in der Landwirtschaft gearbeitet haben, einem Bauern gesagt hätte, dass ein paar Generationen später in Deutschland nur noch 1,4% die Forke schwingen und damit einen bizarren Exportüberschuß erzeugen (Butterberge! Schweinefüße für den Export nach China!), hätte der sicher gesagt: „Ach Quatsch, wer soll denn die ganze Arbeit machen?“

Fast Forward 200 Jahre… Bei Google haben sie grade einen Engineer freigestellt, der zu laut davor gewarnt hat, daß die AI, die er gerade zu entwickeln hilft, ein eigenes Bewußtsein und menschliche Intelligenz aufweist, konkret: den Intelligenzgrad eines ca. 8jährigen Kindes.

Ach Quatsch, sagt da der tapfere Producer, ein ACHT-jähriger kann MEINEN Job nicht machen, ich bin safe.

Aber checkt mal die Meta Humans aus der Unreal Engine, von denen es inzwischen rd. 1.5 Millionen gibt. Ach Quatsch, sagt da die tapfere Schaupielerin, soooo real sehn die ja noch nicht aus, und der Post Aufwand, um die in real gedrehte Filme zu integrieren, ist ja noch ganz schön teuer.

Aber was ist mit Val Kilmers Stimme, die in echt nicht mehr verfügbar ist, weil Val Kehlkopfkrebs hat? Trotzdem spielt sie in TOP GUN 2 mit via Sonantic, die sie auf Basis alter Samples neue Sachen sagen lassen. Für Andy Warhol hat jemand dasselbe gemacht, und es kann nicht mehr lange dauern, bis das die Domäne der Promis verlässt und sich jemand vornimmt, Sprecherstimmen zu synthetisieren, die a) toll sind und b) alles sagen, was ich in meinen Browser tippe.

Ach Quatsch, keine AI kann sprechen wie Elmar Gunsch, sagt da der tapfere Sprecher, aber so langsam seh‘ ich da einen Pattern auf uns alle zurollen, ihr auch?

Den heißesten Verfolger-Atem haben glaube ich die SprecherInnen im Nacken, aber alle anderen Departments sollten sich da nicht zu sicher fühlen. Schaun wir uns mal genauer an, was passiert, wenn sich diese Tendenzen, von denen wir nur die kreativen Highlights mitbekommen, sich Richtung Arbeitsalltag aufmachen.

Es gibt schon länger AI Voices, die auf Basis von Voice Samples neuen Text einsprechen wie etwa bei MURF; kostet rd. 300 Dollar im Jahr für 96 Stunden gesprochen Text inklusive Buyouts, oder wie sie selbst sagen: „It enables brands to (…) save production costs in the advertisement process.“ Damn right it does!

Jetzt kann man sagen: Es gab auch schon immer SprecherInnen die schlechter klingen als diese geklonten AI Voices und welche, die für wenig bis gar kein Geld antreten wie z.B. der Mensch, von dem sich mein Jüngster auf youtube POKEMON vorlesen lässt. Grausam. Aber ich frage mich nicht nach den intellektuellen oder moralischen, den kreativen oder arbeitsmarkttechnischen (keine Jobs mehr für Sprecher & Darsteller!) Implikationen, ich bin ja Producer. Ich frage mich, wie sich das in einem Budget und später dann im Produktionsprozeß auswirkt. Und ich glaube, das wird den kompletten Markt für Sprecherinnen mit seiner gesamten Peripherie von Agenten und Tonstudios umblasen. Tja. Einfach mal so als steile These rausgehauen, nachdem ich nur 10 Minuten auf der MURF Website verbracht und mir lustige bis ernste Texte ausgedacht & vorsprechen lassen habe. Und dann hab ich mit dem Tool rumgefummelt, mit dem man die Aufnahmen dann tweaken kann: Satzmelodie modifizieren; Pausen & Betonungen einbauen etc. Probiert’s aus, macht Spaß, aber macht auch echt Angst.

Ich würde aus der hohlen Hand behaupten, dass in einem Werbefilmbudget 5-15 Prozent des Budgets  für Darstellergagen und Buyouts draufgeht. Wenn wir die Darsteller durch Metahumans austauschen, wird NOCH (wait for it…) der Post Production Aufwand mit Sicherheit die Buyout Ersparnis auffressen.

Aber bei Sprechern? Deren Kosten machen ja gerne mal ein paar Tausend Euro aus. Laut Gagenliste Deutscher Sprecher (GDS) kostet es beispielweise im Paket „All Media Spot Plus“ €3.000 an Buyouts, um einen Sprecher für 1 Jahr deutschlandweit für 1 TV Spot und 3 Abformate zu nutzen, weitere Versionen, weitere Kosten. Zeitlich unbegrenzt? €9.000. Zeitlich und räumlich unbegrenzt? €19.200. Wenn mir das eine AI wie bei MURF für nahezunichts liefert, dann können wir uns vorstellen, was das für ein incentive ist, MURF zu nutzen. Als erstes sind da natürlich die Gebrauchstexte und die Youtube Untertextungen dran, aber wartet’s mal ab.

Im Produktionsprozess werden uns dann sicher die üblichen Effekte begegnen, die man hat, wenn man real Gedrehtes durch VFX ersetzt, ich sage nur: der Fluch der endlosen Tweakability.

Vergleiche REAL GEDREHT versus PER VFX GELÖST:

GEDREHT

Producer: „So, das sind die fünf takes, ihr wart ja dabei und kennt sie alle – welchen sollen wir nehmen?“ Agentur: „Den zweiten.“

VFX

Producer: „Okay, seht mal hier, wir haben jetzt den Berg etwas höher gemacht und den Schnee etwas Weißer, und das Abendlicht haben wir etwas zurückgenommen“ Agentur: „Ich fände es ja super, wenn da noch ein Herde Rentiere über den Abhang laufen könnte, ist doch eh 3D.“

Dasselbe blüht uns dann bei AI Sprachsimulationen.

„Können wir da etwas mehr Emotion in das letzte Wort reinbekommen irgendwie? Satzmelodie etwas mehr runter? Insgesamt etwas femininer vielleicht? Die Pause größer zwischen den ersten beiden Sätzen?“

Aber auch da wird man sich mithilfe von sorgfältiger Producermoderation einpendeln zwischen dem üblichen Kreativanspruch („Hmmm, ja, schon ganz gut, aber können wir da nochmal X, Y und Z probieren?“) und dem budgetär Machbaren („Da waren 2 Sessions im Budget, ich hab Euch schon 3 gegeben, können wir uns bitte für eine Version entscheiden? Eure deadline war übrigens gestern.“)

Auf dem Bauernhof sind die 1,4%, die das heute noch machen, natürlich nicht mehr dieselben Heuwender wie ihre Kollegen 200 Jahre zuvor. Sie sind vielmehr Allrounder, Agrarökonomen, Ingenieure etc. in Personalunion. Genauso habe ich als sagenwirmal technikunaffiner Producer angefangen, in MURF an den Sprecherpausen rumzuschrauben, weil’s ja keinen Ton-Ing mehr gibt, der einem das abnimmt, und, bei 300 Euro im Jahr, natürlich auch kein Geld für einen Ton-Ing. Ein zweischneidiges Schwert, der verdammte Fortschritt, für Producer und Ton-Ingenieure gleichermaßen! Das muß man – über den initialen Spaß der ersten 10 Minuten hinaus – wollen. Und können.

Ich kenne ja Gottseidank jemanden bei Google. Ich hoffe, sie sagt rechtzeitig Bescheid, wenn die Google AI 20 Jahre alt wird, inzwischen Excel gelernt hat und gute Restaurants aussuchen, Rosé am Strand trinken und „HAMMER SCRIPT!!!“ sagen kann. Ich würde dann eher nicht MURF lernen sondern diversifizieren, vegane Schweine züchten vielleicht.

*Wow. Auch Grafikern & Illustratoren stehen interessante Zeiten bevor, wenn ich mir diese „Text – to Image“ AI anschaue. Truely mindblowing.

Kunsthandwerker

Im letzten Post haben wir uns mit den freien Künsten beschäftigt, die uns so verdächtig oft personifziert als WerbefilmheldInnen begegnen, und wir sind der Frage nachgegangen, warum eigentlich & wie die sich zu denjenigen verhalten, die sie sich ausdenken, den Agenturkreativen. Fazit: In etwa so wie Michelangelos Selbstbild („Dieser Kitsch-Papst mit seinem ver***en Goldfetisch! Für den bemale ich keine einzige Decke mehr!“) zu seinem Nachbild in den Augen chinesischer Vatikantouristinnen („Great Artist!“): Sehr großer Sicherheitsabstand.

Aber warum immer nur von anderen sprechen, wie nah sind denn wir ProducerInnen so dran an den Freien Künsten? Da fragen wir doch mal nicht Agenturmenschen („Wieso Kunst? Das sind doch die mit Excel“) oder Producer selbst („Ich hab ja grade den aktuellen Mercedes Film gemacht“), sondern lieber mal jemanden, der da von ganz weit weg bewundernswert detailliert draufgeguckt hat: Der Dritte Senat des Finanzgerichts Köln. Der hatte anno domini 2018 zu klären, ob eine Freelance Werbefilm-Producerin wie du & ich qua ihres Schaffens denn einer freiberuflichen Tätigkeit nachgegangen ist oder eben einer gewerblichen. Wo der gerichtsrelevante Unterschied ist? Freiberufler zahlen keine Gewerbesteuer, und das hatte die Producerin jahrelang auch nicht getan; der Prüfer vom Finanzamt hatte das – komisch! – ganz anders gesehen und ihr nachträglich Gewerbesteuer berechnet. Dagegen hatte sie dann geklagt.

BOOOORING, höre ich Euch murren, aber ich finde, das ganze Urteil ist wirklich ein echtes Schmankerl, lest es Euch mal durch, ich hab’s schon mehrfach getan. Und fragt Euch dabei:

Habt ihr jemals eine objektivere, sorgfältigere, detailreichere und deshalb am Ende bessere Beschreibung unseres Berufsalltags gelesen? (Spoiler 01: Ich noch nicht) Und: Glaubt die Klägerin wirklich, daß ihr Tun unter die Freien Künste fällt, oder hat sie ihre Jobbeschreibung nur deshalb in diese Richtung gepimpt, um der nachträglichen Gewerbesteuerzahlung zu entkommen? (Spoiler 02: Ich bin mir auch nach der dritten Lektüre noch nicht sicher.) Ah, und Spoiler 03: Ich kenne weder den Namen der Dame, noch kenne ich irgendwen, der sie kennt. Noch nichtmal vom Hörensagen.

Für alle, die sich jetzt nur noch mit Mühe wachhalten konnten, sei es schonmal vorweggenommen: NOPE. Keine Freiberuflichkeit bei Freelance Producern. Weil: „(Sie…) könnten nur dann freiberuflich tätig sein, wenn sie unter Anlegung eines strengen Maßstabs bei eigenschöpferischer Begabung eigene Ideen schöpferisch gestalteten. Die Klägerin sei aufgrund des umfassenden Tätigkeitsbildes (Planung, Beaufsichtigung, Budgetüberwachung) nicht auf diese Art tätig geworden. (…) Ebenso liege eine künstlerische Tätigkeit nicht vor.“

Der Einspruch wurde sehr detailliert abgebügelt: „(Die Producerin; SP.) …sei zwar eigenverantwortlich tätig, müsse sich aber jeweils eng absprechen, was einer künstlerischen Tätigkeit entgegenstehe. Den als Beispiel aufgeführten Werbespot für W habe nicht die Klägerin, sondern die Werbeagentur H kreiert. (…) Die schöpferische Leistung sei von den Darstellern und dem Regisseur erbracht worden, (…), nicht aber durch die Klägerin.“

Tja. Was soll ich sagen, stimmt wohl.

Keine Ahnung, ob das Urteil rechtsverbindlich geblieben ist und ihr Freiberufler-Hasen jetzt alle Einzelkaufleute oder Unternehmensgründer werden müßt. Ich meinerseits bin bis 2008 als Freiberufler durch alle Buchhaltungen und Steuerprüfungen geflutscht, bevor ich eine Firma gegründet habe. Aber das ist hier ja auch kein Steuerberatungsblog. Viel interessanter finde ich die angenehm nüchterne und glam-ignorierende Perspektive dieser einhundertsiebenseitigen Analyse mit dem knappen Fazit: Wir betreiben ein GEWERBE, Punkt.

Ein Bisserl kunstsinnige Anerkennung spendet uns das Gericht gegen Ende der Urteilsbegründung dann doch:

„Der Senat verkennt nicht, dass einzelne Elemente der Gesamttätigkeit der Klägerin nach den vorstehenden Grundsätzen als künstlerische Tätigkeit zu werten sein können. (…) Der Senat ist davon überzeugt, dass die Klägerin zum Gelingen des jeweiligen Werbefilmprojekts einen wesentlichen und wichtigen Beitrag leistet.“

Bei den Bundesjugendspielen würde man das als Trostpreis bezeichnen, würde ich sagen, aber trotzdem – ich glaub ich muss es gleich nochmal lesen. Hier steht’s in seiner vollen, 107seitigen Pracht.

FREI-HEIT, FREI-HEIEIEIEIEIT

Hier mal eine unvollständige Random Liste von Brand Ambassadors, von Protagonisten, die mir in diversen Vignettenfilm-Scripten der letzten Zeit so begegnet sind:

Apnoe Taucher (Weltmeisterin)

Wildlife Photographer

Sternenfotograf

Surfer

Skateboarder, natürlich

Designer

Malerin

DJ

Tänzerin

Und alle so: Versunken in ihrer Tätigkeit, ganz bei sich. Grenzüberschreiter, Visionäre, und irgendwie auch alle Künstler, weil sie ihr Tun transzendieren und es zu einer KUNST machen. Kompromisslos. Genie-artig. Allein. Was diese Künstler ganz sicher nicht & niemals tun: Auftragsarbeit. Sie machen das aus sich heraus, für sich.

Jetzt frage ich mich: Spricht das wirklich, wie immer versprochen, alle Konsumenten da draußen an, oder geht’s da vielleicht zumindest auch um etwas oder um jemanden ganz anderes? Naaa, klingelts? Ich sage: Das alles sind in Wahrheit unerreichbare Idealbilder aller Werber(film)dienstleister: „Keine Briefings. Keine Meetings. Keine Kompromisse“, um mal den JeverMann zu zitieren. Stattdessen freier Künstler, DER KEINE WERBUNG MACHEN MUSS.

Was, wenn wir nur einmal den Gedanken zuließen dass sich hier die Portraitisten ihr ideales Wunsch-Selbstbild zusammenprotraitieren? Dann wären diese Filme auf einer Meta-Ebene so etwas wie ein konstanter Hilferuf der geknechteten Kreativen, und eine Art des  „Stick it to the man“: Wenn wir in unserem Arbeistalltag schon immer geschunden werden und Dienstleistern müssen, daß die Schwarte kracht, dann legen wir Euch zumindest bei den Inhalten mal ein zwei Kuckukseier in euren Film, damit ihr mal seht wie das so ist wenn man FREI ist.“

Akzeptieren wir mal einen Moment diese hysterische Hypothese, und rufen: Liebe Kunden, hört mal genau hin was Eure Kommunikationsprofis Euch auf der Metaebene mit diesen ewiggleichen Archetypen kommunizieren wollen: ICH WILL AUCH MAL TOTAL KOMPROMISSLOS MEINER BERUFUNG FOLGEN. I DID NOT SIGN UP FOR THIS SHIT! ICH BRAUCHE EUER FEEBACK NICHT. ICH WILL ALLEIN SEIN! oder noch besser auf englisch: LEAVE ME ALONE!

Steile These, sagt Ihr? „Maybe, Baby“, sag ich.

Wo im Spektrum „kreative Freiheit“ würden Sie die folgenden 5 Begriffe auf einer Achse von VOLL VIEL bis NICHT SO RICHTIG VIEL einordnen:

Michelangelo – Fahrer – Caterer – Producer – Agenturkreative

A propos Michelangelo: Der hat die Sixtinische Kapelle unabgesprochen nicht – wie eigentlich vom Kunden Julius II. gewünscht – in tempera gemalt, sondern als fresco, weil er dadurch von seinem Honorar nur rd. 1% für die Farben ausgeben musste. Tempera hätte Gold und Ultramarin erfordert – da wär deutlich mehr Geld für Material draufgegangen, das hätte das MarkUp gedrückt. Kreativbegründung Michelangelo: „Die Heiligen waren arm und haben Gold verachtet. Machen wir nicht“.

Der Kunde wollte eigentlich per finiture die Gold- und Ultramarinelemente nachträglich gegen Michelangelos Willen ergänzen lassen, hat dann aber davon abgesehen. Nicht weil er das Ergebnis kreativ so überzeugend fand wie wir heute, sondern weil Michelangelo die Gerüste schon wieder hatte abbauen lassen – neue Gerüste waren dem Kunden dann doch zu teuer. Und er fand’s bis zum Schluß mies. Kunde bei der Online-Abnahme: „Sieht ärmlich aus“.*

Aber warum immer über andere (Agenturkreative, Renaissancekünstler) reden. Wie haben wir’s denn so als Producer mit dem Selbstbild und dem Dienstleistertum? Im nächsten Post beschäftigen wir uns mal mit einem Gerichtsverfahren, das eine Freelance Werbefilm Producerin geführt hat, um klären zu lassen: „Bin ich eigentlich kreativ?“ Wetten auf den Ausgang werden noch angenommen – Stay tuned!

*Kann ich immer noch drüber lachen: Warum Michelangelo nicht den Auftrag für DAS LETZTE ABENDMAHL bekommen hat. Michael Palin & John Cleese live auf der Bühne.

Rüstungskontrollabkommen

Der Aufwand für Regie-Interpretationen dreht in letzter Zeit komplett frei – wir brauchen ein Rüstungskontrollabkommen, um das Problem zu lösen. Wait, what?

Die „Director’s Interpretation“ (vulgo „Das Treatment“; oder Old School: „Die Regieauffassung“) soll dem Kunden und der Agentur einen Eindruck davon vermitteln, wie deine Regisseurin ein Agenturscript umsetzen würde. Sie ist das zentrale Element in der Pitch-Phase, in der die Produktionsfirmen versuchen, einen Auftrag zu bekommen.

Noch 2008 habe ich gesehen, wie ein TV-Spot mit einem Millionen-Euro-Budget auf der Grundlage einer DI in Auftrag gegeben wurde, die aus vier Seiten reinem Text und zwei Seiten Moodbildern bestand. „OK, Boomer…“ kann ich euch alle murmeln hören. „Those were the days… Aber können sich Kunde und Agentur heutzutage nicht ein viel besseres Bild davon machen, was sie erwartet? Ist es nicht toll, wenn sich die Regisseure mit Volldampf auf ein Projekt stürzen und wirklich zeigen, wie sehr es ihnen gefällt und welche tollen Welten ihnen einfallen?“

Ja, vielleicht. Noch besser wäre es eigentlich, wenn wir den Film schonmal so layoutmässig vordrehen würden stattdessen, aber das alles hat halt seinen Preis. Das Pitchen hat sich in ein potenziell ruinöses Wettrüsten verwandelt, mit Armeen von Regiescouts, Inhouse Creative Researchers, Mood Scouts, Ghostwritern, Layoutern, Übersetzern usw., die bei jedem Pitch mehr Text, mehr Moods, bessere Layouts, mehr Überarbeitungsrunden produzieren, nur um einen kleinen Vorteil gegenüber der Konkurrenz zu erlangen.

Wieso Rüstungskontrolle? Das Vokabular des Kalten Krieges ist hier sehr angemessen. Die geschilderte Situation ist die Lehrbuch-Definition von „Overkill“: das Potenzial, den Gegner x-fach zu vernichten, auch wenn er schon ein paar Mal gestorben ist – so wie eine 40-seitige DI für einen 20-Sekunden-TVC alle Teilnehmer mehrmals zu Tode langweilen wird, weil nach 10 Seiten alles gesagt sein könnte. „Cast is key (auf drei Seiten ausgewalzt)“. „Kamera ist aber auch unglaublich wichtig“ (auf drei weiteren Seiten ausgewalzt)…

Ein solches Wettrüsten kann ganze Volkswirtschaften zerstören, und keine der beteiligten Parteien hat die Möglichkeit, einseitig auszusteigen: Wer nicht mitmacht, hat schon verloren.

Die Hauptlast dieses Wettrüstens tragen die Produktionsfirmen, und vermutlich trifft es die kleineren unter ihnen unverhältnismäßig stark. Wer kann es sich schon leisten, diverse Tausend Euro pro Pitch aus seinen lausigen Projekt-Markups zu bezahlen? Multipliziert mit 5 wohlgemerkt, da man ja nur jeden fünften Pitch gewinnt? Agenturen und Kunden zahlen ja nicht für den Pitch, also muss er aus MarkUps bezahlt werden, die du in Zukunft vielleicht übrig behalten könntest. „Jaja, Die Klage ist des Kaufmann’s Gruß!“ höre ich euch ungläubig murren, aber diese grundsolide Studie hier belegt, dass Produktionsfirmen in Deutschland im Jahr 2014 insgesamt rund  450.000€ für einen Pitch ausgegeben haben, bis zu 10.000 € für einige Pitches und 3.500 € für einen durchschnittlichen Pitch. Heißt auf Deutsch: aus jedem Projekt kannst du gleich mal rd. 15.000 EUR für die fünf Pitches zur Seite legen, die es gebraucht hat, um das Projekt zu gewinnen. Alles Pi Mal Daumen, aber ihr versteht die generelle Richtung.

Und diese Zahlen berücksichtigen noch nicht einmal die Arbeitskraft, die auf der Produktionsseite für die Organisation, das Lesen, Übersetzen, Feedback geben, die Rechnungsstellung usw. verbrannt wird. Oder die Arbeitskraft, die auf Agenturseite vergeudet wird, z.B. für das Schreiben einer DI-Zusammenfassung für den Kunden, denn „Du glaubst doch nicht, dass der Marketingchef fünfmal 40 Seiten DI durchliest, Stephan!“ Verdammt richtig, das glaube ich wirklich nicht. Aber warum schreiben wir sie dann, oder lassen jemanden diese 40 Seiten schreiben, illustrieren und layouten? Wie oft hat mir schon ein Agenturproducer versichert, dass der Kunde nach der Präsentation in Auszügen wirklich die komplette DI erhalten habe und sie am nächsten Wochenende auch ganz sicher komplett lesen werde (as if…).

Ich denke wir haben hier eine kritische Dimension erreicht, die massive negative Auswirkungen auf alle Beteiligten in unserem kleinen Ökosystem aus Produktionsfirmen, Agenturen und Kunden hat. Es wird unnötig Energie vernichtet, ohne dass für irgendjemanden ein greifbarer Mehrwert entsteht. Vielleicht sollten wir auf Produktionsseite uns, anstatt uns einen Wettbewerb mit den Agenturen zu liefern darum, wer die geileren Präsentationen basteln kann, uns wieder mehr mit unseren eigentlichen Aufgaben & Kompetenzen beschäftigen – aber wie gesagt: einseitig aussteigen ist da verdammt schwierig.

Man könnte auch sagen, es ist Zeit für ein Rüstungskontrollabkommen, das von Agenturen und Kunden ausgerufen und durchgesetzt und von uns Produktionen befolgt werden muss:

1) Das Briefing der Agentur begrenzt die Regie-Interpretation auf, sagen wir, zehn Seiten.

2) Längere DIs werden vom Pitch ausgeschlossen.

3) Dies ist ab sofort Industriestandard. 

Ganz einfach, oder?

P.S.: Die Idee, eine „Treatment Fee“ zu verlangen, ob von Regisseuren oder Produktionen, halte ich, ohne in die Details gehen zu wollen, für kontraproduktiv. Die wird im Zweifelsfall nur die Anspruchshaltung auf Seiten von Kunden und Agenturen verstärken: „Haben wir doch für bezahlt, jetzt wollen wir aber auch noch ’ne Runde sehen.“ Man muß stattdessen kollektiv sich darüber einigen, den Aufwand zu begrenzen, und nicht weitere Incentives schaffen dafür, ihn noch zu erhöhen. Privatmeinung, wie immer.

You’ll be sayin‘ no, no, no, no, no/ When it’s really yeah, yeah, yeah, yeah, yeah

Warum fällt es uns so schwer, mal NEIN zu einem Pitch zu sagen? Vieles spricht ja auf den ersten Blick dafür, öfter mal NEIN zu sagen.

„Attacke!“ Ja, aber du kannst nicht immer überall Vollgas geben. Du musst sorgfältig wählen wo du dich reinwirfst, sonst ist deine Fire Power zu schnell erschöpft. Dazu gehört, dass du auch mal aussteigst und NEIN, DANKE sagst.

„Wir haben jetzt 22 Pitches für diesen Kunden verloren, das muss doch mal wieder klappern, ich bleibe da dran“. Selten so eine klare Manifestation der Sunk Cost Fallacy gesehen: Nein, das muß nicht wieder werden! Das wird sogar relativ sicher nix mehr. Don’t throw bad money after good. Vergiss den Kunden und überlasse ihn den Mitbewerbern. Vielleicht warst du die letzten 22 Male nur noch dabei, weil sie ja auch immer einen brauchten, der am teuersten war?

„Es gibt noch kein Budget“. Dann kann aber auch keiner erwarten, dass du 5.000 Euro in die Hand nimmst für eine Pitchteilnahme, nur um später zu erfahren, daß das Budget nur die Hälfte beträgt von dem was es sein sollte. Wer einen Pitch ausruft, der hat zumindest selber eine Budget-Idee, über die er mit dem Kunden gesprochen hat, bevor der Pitch losgeht. Alles andere ist schlicht unseriös, vorsichtiger gesagt: nicht branchenüblich.

Hilf gerne mit Grobkosten bei der Preisfindung (die jede gut aufgestellte Agentur eigentlich auch alleine hinbekommt), aber geh nicht all in. Du wirst nur unter anderem deinen Regisseur verbrennen und dein Geld verschwenden, sag lieber NEIN.

Sagt sich alles so leicht, ist aber in der Praxis immer schwierig bis unmöglich. Warum nochmal? Hier kommen die ersten 10 von 1.000 guten bis mittelguten Gründe, warum es viel einfacher ist, JA zu sagen:

1 Du willst dir deine Connection nicht verbrennen. Wir haben unsere Schatzies auf Agenturseite ja so versaut mit dem ewigen Dienstgeleistere, daß sie mit Zurückweisung oft schlechter umgehen können als mein Jüngster: Tantrum, stundenlang unkooperatives Verhalten, Sachen kaputtmachen, oder im Agenturfall eben wochenlang keine neue Anfrage schicken. Also sagst du JA.

2 Niemand mag schwierige Business Partner, alle lieben flauschige, geschmeidige, hilfsbereite Producerbunnies, also sagst du JA.

3 Bidding ist wie Börse: aktive Investoren halten sich für schlauer als der Gesamtmarkt. Sie setzen auf Einzelwerte, weil sie glauben dass sie damit besser performen als der Gesamtmarkt. Passive Investoren setzen auf den MSCI World, der den gesamten Markt abbildet und erwirtschaften so 6-8% Rendite pro Jahr. Wahre Magie sieht anders aus, aber dafür ist die Entscheidungsfindung viel einfacher: setz einfach auf alles, dann kannst du mit einem gewissen vorhersehbaren return rechnen. Alles andere ist Zocken (sagen die passiven Investoren). Du kannst also aktiv & picky sein („Tut mir leid, aber die drei Regisseure, die dafür in Frage kämen, sind in dem Zeitraum leider alle schon gebucht“ vulgo: „Ferrero? Over my dead body.“); du kannst aber auch einen eher passiven Ansatz verfolgen und sagen: wir bidden auf alles, die Chance dass was klappt ist immer 1:5, aber es ist viel zu aufreibend und energiefresserisch, cherry picking zu betreiben, also sagst du JA.

4 Ohne Pitch-Teilnahme keine Chance: wenn du nein sagst bist du schon raus; wenn du mitmachst, hast du eine Chance, wie klitzeklein sie auch sein mag. Egal welche Chance: auf einen tollen Film. Auf einen satten Gewinn. Auf einen neuen Kunden. So viele Chancen!! Wer sagt da NEIN? Also sagst du JA.

5 Das Pitchen ist in deinem Setup eh eine well oiled machine, um mal Ex-Präsident T. zu zitieren, es ist nahezu einfacher mitzumachen als NICHT mitzumachen. Also sagst du JA.

6 Deine Agentur erpreßt Dich: Wenn du bei diesem Gruselpitch nicht mitmachst, dann darfst du auch bei der nächsten 2-Mio-Euro-Autokampagne nicht mitbidden.

7 Oder sie beutet rücksichtslos deine Ressourcen aus: Der Agenturproducer ist zu faul oder zu unterbesetzt um selber Grobkosten zu machen, darum kumpelt er dich an und fragt ob du vielleicht zum hundertsten Mal mit Zahlen aushelfen kannst in der Hoffnung, daß daraus ein echter Pitch wird und du dann einen Gefallen eincashen kannst. Vielleicht. Also sagst du JA.

8 Deine Boss ist nervös, weil die Umsätze nicht so geil sind wie letztes Jahr, und weil die letzten zehn Pitches abgeraucht sind. Ja, The Pitch is a Bitch, und es braucht wie die Börse einen langen Atem, um die durchschnittlich erwartbaren Resultate zu erzeugen. Also sagst du JA.

9 Du bist neu hier. Du mußt dich da reinbeißen, du mußt jede noch so kleine Gelegenheit nutzen, um mit den Big Guns mitzuhalten, damit du eines Tages nicht von den Brosamen leben mußt, die von den Tischen der Großen runterfallen. Also sagst du JA.

10 Du bist einer von den Big Guns. Du kannst es dir nicht leisten, den jungen Wilden auch nur den kleinsten Vorteil einzuräumen – wehret den Anfängen, wenn die einmal am Rennen sind, dann stoßen sie dich aus der Pole Position, also sagst du JA.

You see? Gar nicht so einfach. So, jetzt gerne ihr: Weitere Gründe NEIN zu sagen bitte in die Kommentarspalte. Oder doch JA?

Mein Musikvideo-Menetekel

Full disclosure: ich habe die 90er erlebt. Beweise? Ich dachte schon Ihr würdet nie fragen. Aber Achtung, es ist 90er Jahre Fachwissen zum Dechiffrieren erforderlich! Saß ich einmal mit Herbert Grönemeyer beim Abendessen und erzählte davon, wie ich im Pott geboren wäre und mein alter Herr Bergmann gelernt hätte. Herbert darauf im Ton eines Menschen, der Überraschendes verkündet: „Also ich komme ja aus Bochum“. Große Stille am Tisch – wer sagt jetzt als erster „Echt?“ Na, zündets? Dauert ein bißchen, ich weiß. Okay, Anekdote zu Ende.

Ich habe jedenfalls nicht nur Herbert Grönemeyer, sondern auch ein mittelmäßig komplexes Business Modell erlebt, das Anfang der 2000er komplett untergegangen ist: Die Organisation der Musikvideo-Herstellung nach dem Vorbild der Werbefilmindustrie. Als unsere Kunden – die großen Labels, die diese zarte Industrie zu 100% finanziert hatten – so um 2000 herum mit einem Mal & gleichzeitig herausgefunden haben, dass sie die Investitionen in Musikvideos (erst recht vor dem Hintergrund der temporären Umsatzrückgänge in Zeiten von Napster & Co) nicht mehr einspielen konnten, haben sie ihre Ausgaben dafür radikal runtergefahren & damit die Musikvideo-Produktionslandschaft als Sandkastenkopie der Werbefilmlandschaft quasi ausradiert. Details für Zu-Spät-Kommer finden sich im immer noch zu weiten Teilen meiner Feder entstammenden WIKIPEDIA-Eintrag zum Thema „Musikvideo“.

Ich habe tatsächlich mehr Beweise dafür als zweifelhafte Anekdoten mit lokalen Popstars. Jaja, liebe Gen Z, Herbert Grönemeyer war mal ein lokaler Popstar, und wenn ihr nicht aufhört ungläubig zu gucken, dann zwinge ich Euch, die unter dem * angefügte Anekdote auch noch zu lesen und Euch dazu 1 Stunde lang MAMBO NO. 5 anzuhören. Ich kann jedenfalls aus eigener Anschauung von einer Firma berichten, die mit rund 20 festen Mitarbeitern – okay, Praktikantinnenquote 50% – rund 50 Musikvideos im Jahr produziert hat, keine 30-Sekünder, meine Lieben: im Schnitt 3,5-Minüter, und die damit einen Jahresumsatz hingelegt hat, der sie im Werbefilmranking unter die Top 20 gebracht hätte.

Heute dagegen haben Musikvideos mit wenigen Ausnahmen 4-stellige Budgets, aber immer noch 3 Minuten Laufzeit. Die technischen & handwerklichen & damit auch die kaufmännischen Komplexitäten sind ebenfalls derart geschrumpft, dass sie sich zumeist in einem One Man Show Setup bewältigen lassen. Regie, Kamera, Edit & Produktion werden oft genug in Personalunion gestemmt. Für „Capital Bra rappt in der leeren Tiefgarage“ braucht es keine Produktionsfirma. Bottom line: massive Reduktion, ja, geradezu Zusammenbruch („Collapse to Simplicity“, Clay Shirky) des zuvor wenn auch nur für kurze Zeit bestehenden Business Modells Musikvideoproduktionsfirma.

Der entscheidende Punkt dabei: Es gibt noch Videos. Viele Videos. Viele miese, aber auch weiterhin viele gute Videos (was nicht vertuschen soll, dass es auch davor viiiiele miese Videos gegeben hat, ich habe selbst diverse davon produziert). Oder, aus Perspektive der Auftraggeber: „Siehste, geht doch!“

Woraus sich natürlich die Frage ergibt: Ist das Zerbröseln des Business Modells „Musikvideo-Produktion“ aus den 90ern ein Menetekel für die Werbefilmbranche? Anders gefragt, werden Kunden wie VW, NIVEA oder HEINEKEN in 15 Jahren auch sagenwirmal 50% ihrer Marketingausgaben für Bewegtbild einsparen, die Geschäfte laufen trotzdem prächtig, und alle CMOs klatschen sich ab und sagen heimlich oder laut und deutlich triumphierend: „Siehste, geht doch?“

Ein Faktor, der beim Zusammenbruch der Musikvideolandschaft entscheidend war, gilt in der Werbung thank goodness nicht: die Musikvideolandschaft wurde und wird von gerade mal 4 Playern (den großen Labels) bestimmt, die relativ gleichzeitig und konzertiert ihr Verhalten umstellen können, und die das Anfang 2000 einfach gemacht haben – ob konzertiert oder zufällig gleichzeitig ist für das Ergebnis unerheblich. Das ist beim ungleich größeren Werbefilmmarkt nicht so. Die Konkurrenz unter den Kunden ist größer, und die Tendenz aus allen Rohren zu feuern ebenfalls. Das heißt: Die Gefahr besteht weniger darin, daß unsere Kunden kollektiv den Geldhahn für Bewegtbild zudrehen.

Was aber können die Kunden und wir aus diesem Musikvideosterben – Schockmoment lernen? Schauen wir zur Abwechslung bei Clay Shirky rein:

Als Shirky einen Vortrag hielt vor einer Gruppe von TV-Executives über den Wandel, den das Internet für ihr klassisches Geschäftsmodell bedeuten würde, kristallisierte sich eine Frage heraus: „Wann würde Online-Video genug Geld einbringen, um ihre laufenden Kosten zu decken?“

Was hat Shirky den TV-Leuten gesagt? (Übersetzungen/Kürzungen von mir):

In Zukunft werden einige Arten von Bewegtbild für’s Web genauso komplex produziert werden, wie es heute bei eurem Business der Fall ist, und einige Leute werden zweifellos truckloads of money damit verdienen.

Es mag verlockend sein, sich vorzustellen, daß, wenn die Dinge früher komplex waren und auch in Zukunft komplex sein werden, daß dann in der Zwischenzeit alles einfach komplex bleiben kann. SO FUNKTIONERT DAS ABER LEIDER NICHT.

Warum? Die meistgesehene Videominute der Jahre 2005 – 2010 zeigt, wie Baby Charlie seinem Bruder in den Finger beißt. Zweimal! Diese Minute wurde von mehr Menschen gesehen als die Zuschauerzahlen von American Idol, Dancing With The Stars und dem Superbowl zusammen.

Einige Videos müssen heute immer noch komplex sein, um Wert zu haben, aber die Logik des alten Medien-Ökosystems, in dem Bewegtbild komplex sein musste, nur um überhaupt Bewegtbild zu sein, ist schlicht zerbrochen. Eine Welt, in der „Charlie bit my finger“ passieren kann, ist eine Welt, in der Komplexität weder eine notwendige Bedingung noch ein automatischer Vorteil ist.

Unsere Werbefilmfuzzi-Frage an die Zukunft ließe sich analog zu der von Shirkys TV-Leuten vielleicht so formulieren: „Oha, Kunden wollen immer weniger klassischen TVC Content haben. Werden wir es schaffen, sie davon zu überzeugen, dass der neue Yotube Insta TikTok Content zu denselben hochkomplexen und damit teuren Konditionen hergestellt werden muss wie ein TVC?“

Die Gefahr liegt auch da in der Fragestellung, weil sie nahelegt, daß wir nichts anderes können, als unser gelerntes Geschäftsgebaren auf neue Businesses zu übertragen. Wenn das wirklich alles ist, haben/bekommen wir ein Problem.

Was nämlich, um die Kurve zum Intro zu kriegen, die Musik-Labels gelernt haben schon Anfang dieses Jahrhunderts: Ihre Kommunikationsziele im Bereich Bewegtbild lassen sich mit geschätzt maximal dem halben (andere sagen: einem viertel…) Budget realisieren dessen, was da in den fetten 90er Jahren rausgeblasen worden ist. Das könnten die Kunden in unserem Bereich auch irgendwann herausfinden trotz aller Bemühungen von Agenturen und Produktionsfirmen, sie vom Gegenteil zu überzeugen.

„Brace, brace“, wie man in der Luftfahrt sagt: Stellen wir uns also besser darauf ein, dass immer mehr Kommunikations-Ziele unserer Kunden mit immer kleinerem Aufwand realisiert werden können. Überlegen wir uns, ob & wie wir da mitmachen wollen, oder ob wir uns bei steigendem Meeresspiegel auf eine immer kleinere Insel zurückziehen wollen mit immer härteren Verteilungskämpfen um das weniger werdende, bewohnbare Land. Und behalten wir im Auge wo es Sinn macht, unsere gelernten Produktionsstandards auf neue Content Anforderungen zu übertragen (und umgekehrt), und wo nicht.

*Die Strafanekdote für 90er Nachsitzen-Müsser: Im ständigen, heroischen Abwehrkampf gegen den permanenten Kundenwunsch nach so viel nudity wie irgendwie MTV-möglich sitzen wir in einem Meeting für das Konzept des Lou Bega Musikvideos zu Mambo No. 5, und der Regisseur versucht grade, alle davon zu überzeugen, dass Erotik ja auch was ganz Subtiles sein könne, so in der Art wie jemand einen Espresso trinkt etwa, nur um vom Kunden unterbrochen zu werden mit einer klaren Definition: „Pass mal auf, Erotik heißt bei mir Bikinis aus Zahnseide, ich hoffe das ist angekommen.“

Okay, ich habe nicht versprochen, daß es eine LUSTIGE Anekdote wird, oder?

Location, Location, Location

Man kann mit Recht sagen, daß das Monument Valley nur ein Stapel Steine wäre ohne John Ford’s Pioniertat, seine größten Filme dort zu drehen. Aber auch John Ford mußte auf Director’s Recce und das Tal für sich und für uns entdecken. Als er in den 30ern für „THE SEARCHERS“ mit seinem DP Winton C. Hoch dort war, ließen sie sich von einem ehrfurchtgebietenden Native American namens Hastobiga führen, von dem sie erwarteten, dass er ihnen als Local die spektakulärsten Locations zeigen würde – schließlich lebten die Navajo seit undenklichen Zeiten hier, und das Valley war ihnen heilig und zutiefst vertraut. Hastobiga ging jeweils voran und stellte die Kamera ab – dann ließ er John Ford und Winton C. Hoch das Valley durch den Sucher betrachten. Von Tag zu Tag wuchs die Verwunderung der beiden Filmprofis darüber, mit welch filmischem Auge der Mann die besten Kamerapositionen aussuchte, bis Winton C. Hoch nicht mehr anders konnte als zu fragen: „How do you always know that this is the best place to put my camera?“ Hastobiga antwortete schulterzuckend: „Because that’s where they always put it”.

Ist natürlich lustig; aber der entscheidende Moment ist gar nicht Teil der wahrscheinlich komplett frei erfundenen Story: Was macht John Ford als nächstes? Akzeptiert er, daß das die beste Location für seinen Film ist und dazu noch, daß das der beste Ort ist, die Location zu featuren, WEIL DAS ALLE IMMER SO MACHEN – oder sucht er was Anderes, was Fresheres, was Besseres; vielleicht in Chile, weil da MetroGoldwynMeyer grade gedreht haben soll? Oder spielt John Ford vielleicht in der Geschichte gar nicht erst mit, weil er alle Monument Valley Filme schon gesehen hat und weiß daß die Location schon ganz schön abgefrühstückt ist, der Chapman’s Peak Drive des wilden Westens sozusagen, und sucht von vornherein schon was ganz anderes? Studio? Unreal Engine?

Ich kann Euch nicht sagen, wie John Ford tickt. Ich kann Euch aber verraten an welchen Enden des Möglichkeitsspektrums sich ein Producer und ein Agentur-Kreativer relativ wahrscheinlich regelmäßig aufhalten: Wer sagt öfter: „Autofilm, urban und mit sehenswertem Umland? Da fällt mir Lissabon ein.“ Und wer: „Das soll zwar ein Autofilm mit modernen urbanen Elementen und mit ein paar Fahrszenen im Umland sein (SUV!! Die Szene, in der sich das Auto, über Land fahrend, der Silhouette einer modernen Großstadt nähert!!)), aber in Lissabon hab ich schon jede Brücke viermal gedreht, habt ihr da nicht mal eine ganz andere, freshe Idee?“ Mögliche Antworten bitte unten in die Kommentarzeile!

Ich warte ja die ganze Zeit schon darauf, daß sich endlich mal jemand Kasachstan wünscht. Ich kenn da was total Freshes, bißchen doof grade mit den vermaledeiten Russen in der Nachbarschaft, aber die Zeit wird kommen, wartet’s nur ab! Bin übrigens neulich in Südafrika nur so aus Trotz mal wieder selbst über den Chapman’s Peak Drive gefahren und kann Skeptikern & Nachwuchs, die vom Chapman’s Peak Drive nur wissen, daß der eigentlich immer gesperrt ist, berichten: ist grade geöffnet und sieht ganz geil aus, vor allem wenn man so die Kombi aus Meer und Bergen hat und dann im Hintergrund sich so die Stadt aufbaut… hmmm… vielleicht für einen SUV Film mal vorschlagen demnächst?

funky funky: Sozialabgaben

Eine Kölner Freundin hat es gewagt, einem Berliner Copyshop Mitarbeiter, der sie auf die übliche miese Berliner Muffeltour behandelte, zu sagen: „Hömma, du bist hier im Service, Liebschen!“ Ergebnis: Hausverbot im Copyshop.

Ich bin zu hundert Prozent auf Seiten des Rheinlandes in dieser Sache, zumal die Sozialstandards für Copyshopmitarbeiter in Köln und Berlin grob dieselben sein sollten. Das basic mindset der durchschnittlichen Berliner Service Fachkraft scheint aber immer noch zu sein: „Wenn ich mich schon zwingen lasse, diesen Job zu machen, dann laß ich wenigstens meine schlechte Laune gegenüber allem & jedem raushängen.“ Aber das sind ja nur kulturelle Oberflächenphänomene einer im Grunde genommen sehr durchregulierten und komfortablen Arbeitswelt, ripples auf einem Ozean des Kommoden, zumal in unserer Branche (Ja ich weiß, nicht immer und nicht für alle, lest trotzdem gern mal weiter…). Aber wie sieht das so aus, wenn wir unsere Jobs ins Ausland tragen?

Traditionellerweise kostet Production Service in Portugal rund 10-15% weniger als in Barcelona. Warum?  Neulich sagte ein Producer aus Barcelona, den ich fragte, was denn derselbe Film seiner Meinung nach in Lissabon kosten würde: „Nimm einfach mein Budget und zieh die Sozialabgaben ab*.“

Und tatsächlich, das kommt ganz gut hin. In Spanien sind die Preise hochgegangen vor ein paar Jahren, als die Spanischen Serviceproduktionsfirmen zähneknirschend angefangen haben, wegen neuer gesetzlicher Auflagen auch Sozialabgaben zu bezahlen und an uns weiter zu berechnen. Als dann ihre Kunden – wir – verstärkt nach Portugal abgewandert sind, weil da die Preise noch niedriger waren (read: keine Sozialabgaben gezahlt wurden), haben einige von ihnen Offices in Lissabon aufgemacht, damit sie von dieser Abwanderung profitieren konnten. Ist damit die Service Industrie in Spanien den Bach runtergegangen?

Ratet mal warum keiner von uns jemals freiwillig in Frankreich dreht:

  1. Weil’s da so häßlich ist?
  2. Weil die Franzosen keinen Geschmack haben?
  3. Weil es keine Business Infrastruktur gibt?
  4. Weil das viel zu weit weg ist?

Nö, nö, nö & nö. Die Antwort findet sich –  wie übrigens alle wichtigen Antworten – in Excel. Schaut mal auf diese Formel, die ich jüngst noch in einem Kostenvoranschlag aus Frankreich gefunden habe, um die Sozialabgaben zu berechnen: =(SUMBN4-BN19)*65%. FÜNF-UND-SECHZIG Prozent Sozialabgaben! Das ist schlicht prohibitiv teuer für ein Business, dessen Kosten zu einem massiven Teil aus Personalkosten bestehen. Will sagen: In Frankreich dreht keiner, weil die Sozialabgaben, und damit die Personalkosten insgesamt zu hoch sind.

Deutlicher ist der umgekehrte Effekt natürlich noch im ehemaligen Ostblock: unser Business ist ein sehr personalintensives Business, während die verwendete Technik überall gleich und damit auch tendenziell gleich teuer ist. In den 90ern sind wir nach Budapest und Prag gegangen. Als deren Preise irgendwann keinen Vorteil mehr gegenüber einer Produktion zuhause geboten haben – circa 2010?? – sind wir kollektiv weitergezogen Richtung Osten nach Rumänien in die Baltics… vor der verfluchten russischen Invasion in das top notch Serviceland Ukraine haben alle angefangen, ihre Fühler nach Kasachstan und Georgien auszustrecken. Warum wohl? Weil’s da so tolle Locations gibt? Bestimmt auch. Aber vor allem wegen der günstigen Manpower natürlich.

Wenn, random example, der Oberbeleuchter in Bukarest mit 180 Euro ohne weitere Sozialabgaben nicht mal ein Drittel von dem verdient, was sein deutsches Pendant bekommt, dann kann man sich unschwer ausrechnen was das für eine Ersparnis bedeutet im Gesamtbudget: Ein Drittel Personalkosten, da kommen pro Drehtag schnell ein paar zehntausend Euro zusammen, was schlicht bedeutet: wenn es keinen Grund gibt, NICHT in Rumänien zu drehen (wie: „Wir wollen mediterrane Locations“), dann dreht man in Rumänien. Oder in Vilnius. Oder Ljubljana.

Aber.

Aber fühlt sich das nicht irgendwie Scheiße an, wenn man seinen Kunden, unter ihnen Milliardenkonzerne mit Milliarden Jahresgewinnen, regelmäßig Dienstleistungen hinterherwirft, deren Realisierbarkeit zu einem entscheidenden Teil beruht auf Billigstarbeit und auf nicht bezahlten Sozialabgaben, die die Leute aus ihren eh schon mageren Salären mal schön selbst bestreiten können?

Keine Sorge, hier kommen ein paar Ausreden:

Man muß da kein Sozialist sein und gleich „Ausbeutung“ trompeten – die gezahlten Rates sind für die Locals immer noch attraktiv im Vergleich zu den sonst erzielbaren Einnahmen im Land.

Unsere Kunden machen ja dasselbe wenn sie beispielsweise Ihre Luxuskarossen im Osten zusammenschrauben lassen anstatt im Lohnhochland Deutschland.

Unsere Konkurrenz wird es genau so anbieten, wenn wir’s nicht machen. Es kriegt schlicht derjenige den Job, der’s zu diesen Konditionen anbietet, hilft also keinem, wenn wir’s nicht machen, gemacht wird es trotzdem.

Kurz: wir können uns nicht leisten, andere Standards zu bezahlen als Kunden oder Mitbewerber.

Niemand will crazy aufgeblasene Sozialsysteme wie in Frankreich subventionieren, das finde ich komplett nachvollziehbar.

Niemand will eine überregulierte, overstaffte und als unerbetene Dreingabe eine von der eigenen Überlegenheit grundlos überzeugte Produktionslandschaft wie in den USA finanzieren müssen, deren Drehtage schnell das Doppelte kosten wie bei uns, ohne daß man das Gefühl hätte, daß man dafür irgendeine handfeste Mehrleistung bekäme („Arri Alexa? Wow! Wait, where did you get that great piece of technology from?“). Auch das komplett nachvollziehbar.

Dafür wäre ja vielleicht mal die EU ganz nützlich, die regulieren doch sonst auch jeden Furz & Feuerstein, warum eigentlich regelt die EU nicht, daß die Arbeitsnebenkosten gewissen Mindeststandards genügen müssen, damit nicht jeder rumänische Griphelfer die Rentenabgaben aus seinen 80 Euro Tagesgage bestreiten muß? Schon da werden einige schreien „THE HORROR, THE HORROR“, um mal Colonel Kurtz zu zitieren, auch der ja gewissermaßen nur ein Producer auf einem sehr schwierigen Servicejob, aber würd‘s wirklich wen umbringen? Anders als durch Regulation läßt sich da sicher nix ändern, siehe die validen Ausreden oben.

Fragte man die Kunden, dann würden die sich hinter ihren 300-seitigen Lieferverträgen verstecken (Producer-Faustregel: je größer der Konzern, desto länger & unverschämter die Lieferverträge), in denen sie sicherstellen, daß sie zu hundert Prozent sauber da raus kommen. Wir garantieren denen natürlich jedes Mal, daß wir sämtliche gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsstandards einhalten, die lokal gültigen, wohlgemerkt, und für jeden Verstoß selbst gradestehen und haften. Und das nicht, weil sie das wirklich interessiert, sondern damit ihnen keiner an den Karren fahren kann.

Pheeew, fünf tiptop Ausreden! Aber wie ein befreundeter Producer gern zu jeder passenden Gelegenheit sagt: „Excuses are like assholes. Everybody’s got one, and they all stink“. Ja, da stehn wir jetzt mit unserem kurzen Hemd und wissen nicht weiter. Ihr etwa? Sachdienliche Hinweise bitte gern in die Kommentarspalte.

*Sozialabgaben: Vom Arbeitgeber zu zahlende Lohnnebenleistungen für Rente, Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung etc. https://www.hellogetsafe.com/de-de/posts/sozialabgaben-was-ist-das-und-wofuer-bezahle-ich-da-eigentlich