Der Aufwand für Regie-Interpretationen dreht in letzter Zeit komplett frei – wir brauchen ein Rüstungskontrollabkommen, um das Problem zu lösen. Wait, what?
Die „Director’s Interpretation“ (vulgo „Das Treatment“; oder Old School: „Die Regieauffassung“) soll dem Kunden und der Agentur einen Eindruck davon vermitteln, wie deine Regisseurin ein Agenturscript umsetzen würde. Sie ist das zentrale Element in der Pitch-Phase, in der die Produktionsfirmen versuchen, einen Auftrag zu bekommen.
Noch 2008 habe ich gesehen, wie ein TV-Spot mit einem Millionen-Euro-Budget auf der Grundlage einer DI in Auftrag gegeben wurde, die aus vier Seiten reinem Text und zwei Seiten Moodbildern bestand. „OK, Boomer…“ kann ich euch alle murmeln hören. „Those were the days… Aber können sich Kunde und Agentur heutzutage nicht ein viel besseres Bild davon machen, was sie erwartet? Ist es nicht toll, wenn sich die Regisseure mit Volldampf auf ein Projekt stürzen und wirklich zeigen, wie sehr es ihnen gefällt und welche tollen Welten ihnen einfallen?“
Ja, vielleicht. Noch besser wäre es eigentlich, wenn wir den Film schonmal so layoutmässig vordrehen würden stattdessen, aber das alles hat halt seinen Preis. Das Pitchen hat sich in ein potenziell ruinöses Wettrüsten verwandelt, mit Armeen von Regiescouts, Inhouse Creative Researchers, Mood Scouts, Ghostwritern, Layoutern, Übersetzern usw., die bei jedem Pitch mehr Text, mehr Moods, bessere Layouts, mehr Überarbeitungsrunden produzieren, nur um einen kleinen Vorteil gegenüber der Konkurrenz zu erlangen.
Wieso Rüstungskontrolle? Das Vokabular des Kalten Krieges ist hier sehr angemessen. Die geschilderte Situation ist die Lehrbuch-Definition von „Overkill“: das Potenzial, den Gegner x-fach zu vernichten, auch wenn er schon ein paar Mal gestorben ist – so wie eine 40-seitige DI für einen 20-Sekunden-TVC alle Teilnehmer mehrmals zu Tode langweilen wird, weil nach 10 Seiten alles gesagt sein könnte. „Cast is key (auf drei Seiten ausgewalzt)“. „Kamera ist aber auch unglaublich wichtig“ (auf drei weiteren Seiten ausgewalzt)…
Ein solches Wettrüsten kann ganze Volkswirtschaften zerstören, und keine der beteiligten Parteien hat die Möglichkeit, einseitig auszusteigen: Wer nicht mitmacht, hat schon verloren.
Die Hauptlast dieses Wettrüstens tragen die Produktionsfirmen, und vermutlich trifft es die kleineren unter ihnen unverhältnismäßig stark. Wer kann es sich schon leisten, diverse Tausend Euro pro Pitch aus seinen lausigen Projekt-Markups zu bezahlen? Multipliziert mit 5 wohlgemerkt, da man ja nur jeden fünften Pitch gewinnt? Agenturen und Kunden zahlen ja nicht für den Pitch, also muss er aus MarkUps bezahlt werden, die du in Zukunft vielleicht übrig behalten könntest. „Jaja, Die Klage ist des Kaufmann’s Gruß!“ höre ich euch ungläubig murren, aber diese grundsolide Studie hier belegt, dass Produktionsfirmen in Deutschland im Jahr 2014 insgesamt rund 450.000€ für einen Pitch ausgegeben haben, bis zu 10.000 € für einige Pitches und 3.500 € für einen durchschnittlichen Pitch. Heißt auf Deutsch: aus jedem Projekt kannst du gleich mal rd. 15.000 EUR für die fünf Pitches zur Seite legen, die es gebraucht hat, um das Projekt zu gewinnen. Alles Pi Mal Daumen, aber ihr versteht die generelle Richtung.
Und diese Zahlen berücksichtigen noch nicht einmal die Arbeitskraft, die auf der Produktionsseite für die Organisation, das Lesen, Übersetzen, Feedback geben, die Rechnungsstellung usw. verbrannt wird. Oder die Arbeitskraft, die auf Agenturseite vergeudet wird, z.B. für das Schreiben einer DI-Zusammenfassung für den Kunden, denn „Du glaubst doch nicht, dass der Marketingchef fünfmal 40 Seiten DI durchliest, Stephan!“ Verdammt richtig, das glaube ich wirklich nicht. Aber warum schreiben wir sie dann, oder lassen jemanden diese 40 Seiten schreiben, illustrieren und layouten? Wie oft hat mir schon ein Agenturproducer versichert, dass der Kunde nach der Präsentation in Auszügen wirklich die komplette DI erhalten habe und sie am nächsten Wochenende auch ganz sicher komplett lesen werde (as if…).
Ich denke wir haben hier eine kritische Dimension erreicht, die massive negative Auswirkungen auf alle Beteiligten in unserem kleinen Ökosystem aus Produktionsfirmen, Agenturen und Kunden hat. Es wird unnötig Energie vernichtet, ohne dass für irgendjemanden ein greifbarer Mehrwert entsteht. Vielleicht sollten wir auf Produktionsseite uns, anstatt uns einen Wettbewerb mit den Agenturen zu liefern darum, wer die geileren Präsentationen basteln kann, uns wieder mehr mit unseren eigentlichen Aufgaben & Kompetenzen beschäftigen – aber wie gesagt: einseitig aussteigen ist da verdammt schwierig.
Man könnte auch sagen, es ist Zeit für ein Rüstungskontrollabkommen, das von Agenturen und Kunden ausgerufen und durchgesetzt und von uns Produktionen befolgt werden muss:
1) Das Briefing der Agentur begrenzt die Regie-Interpretation auf, sagen wir, zehn Seiten.
2) Längere DIs werden vom Pitch ausgeschlossen.
3) Dies ist ab sofort Industriestandard.
Ganz einfach, oder?
P.S.: Die Idee, eine „Treatment Fee“ zu verlangen, ob von Regisseuren oder Produktionen, halte ich, ohne in die Details gehen zu wollen, für kontraproduktiv. Die wird im Zweifelsfall nur die Anspruchshaltung auf Seiten von Kunden und Agenturen verstärken: „Haben wir doch für bezahlt, jetzt wollen wir aber auch noch ’ne Runde sehen.“ Man muß stattdessen kollektiv sich darüber einigen, den Aufwand zu begrenzen, und nicht weitere Incentives schaffen dafür, ihn noch zu erhöhen. Privatmeinung, wie immer.