No rain, no rainbow

Wetter? Wirklich? Ja: Wetter. Wetter schmeißt gern mal alles durcheinander und legt dann für alle die Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen offen, die sonst immer im Selbstverständlichen und Routinierten so vor sich hinfunktionieren. Dann nämlich, wenn es auf einmal und mit einem sechsstelligen Betrag an Mehrkosten im Nacken um die Frage geht: drehen wir jetzt weiter und versuchen, alles zu schaffen, oder brechen wir ab und es gibt einen Wettertag?

Da müssen wir dann auf einmal seeeehr förmlich werden, denn die Entscheidungen in der Sache können nicht warten, sie müssen getroffen werden, aber bitte auf Basis der richtigen Informationen, in der richtigen Reihenfolge und von den richtigen Leuten. Aber wie genau? 

Für die Info stellen wir sicher, daß wir möglichst schon vorab eine allgemein akzeptierte Autorität in Sachen Wetter etabliert haben – gar nicht so einfach je nach Drehland, zumal dann jede/r im Ernstfall noch die Alternativmeinung auf vier verschiedenen Wetterapps parat hat. Also Erstens: „Wer ist in meinem Drehland die anerkannte Wetterautorität? Was sagt die?“

Zweitens: Was ist unser Alternativszenario? „Wir treffen uns morgen früh wieder und versuchen den Rest zu drehen? Wir brechen für ein paar Tage ab und suchen einen anderen Drehort? Wir machen den Rest im Studio vor Grün?“ Dabei darf man gerne schonmal die Agentur mit einbeziehen. Und wenn das steht, holt man sich Drittens den Kunden dazu und bittet ihn um eine Entscheidung: Abbrechen und Überstunden vermeiden und das Alternativszenario aktivieren, oder weitermachen in der Hoffnung, daß man doch noch alles in den Kasten bekommt? 

Manchmal ist ein Abbruch alternativlos – so wie neulich im Hochsommer, als ich am Set auf freiem Feld stand und im Vordergrund die Gripjungs eine 6 Meter hohe Plattform für einen Topshot aufbauen sah, alles sehr professionell und aus bestem deutschen Aluminium, während im Hintergrund sich eine fette Gewitterfornt näherte. Ich hatte schon so eine sehr konkrete Vision davon wie ein einziger Blitz rund 300 Komparsen samt Team auslöscht… trotzdem habe ich dem Kunden das Gefühl vermittelt bekommen, daß eigentlich ER den Dreh abbricht, nicht Thor, der Donnergott. Und schon gar nicht ich. Nicht mein Job.  

Ein Wettertag ist ja grundsätzlich ein Problem des Kunden, wie wir alle wissen, und wie es allgemein akzeptierte Praxis ist. Das bedeutet aber nicht, daß das auch alle Agenturleute, erst recht nicht alle Kunden wissen, und darum schadet das gar nichts, da auch nochmal casually drauf hinzuweisen vorab, gern auch im PPM: „E-U-E-R Script sieht ja einen Außendreh vor. Wir werden eine möglichst wettersicheren Drehort vorschlagen. Das Wetter aber können wir nicht beeinflussen. Mehraufwand für einen Wettertag versuchen wir so klein wie möglich zu halten, werden ihn aber weiterberechnen müssen.“

Wenn es dabei große Augen auf Kundenseite gibt, sollte man sich den Agenturproducer zur Seite nehmen und ihn darauf hinweisen, daß er in der Sache doch bitteschön noch vor dem Dreh für Einsicht auf Kundenseite sorgen möge, damit die an ihrem Ende auch das Wissen in der Sache auf die entscheidenden Ebenen weitertragen und im Ernstfall schnell & kompetent & mit der nötigen Rückendeckung reagieren können. Nichts schlimmer als ein Kunde am Set, der in der Sache erstmal die MarketingsChefin anrufen muß…

Ich hatte mal einen Kunden, dessen Rechtsabteilung uns nötigen wollte, das Wetterrisiko als Produktion zu übernehmen, woraufhin wir ausschließlich Indoors Filme für ihn produziert haben. Geht halt nicht anders: so ein Wettertag kann dir schnell mal das Doppelte Deines MarkUps auffressen, dieses Risiko ist für eine Produktion im Ernstfall existenzbedrohend. Abgesehen davon ist es allgemein verbreiteter Konsens, daß wir als Produktion das Wetterrisiko ja nicht heraufbeschworen haben: Das kaufen die Kunden quasi mit ein, wenn sie sich für einen Außendreh entscheiden. Muß ihnen nur jemand (auf Agenturseite…) auch so sagen.

Auch könnte der Kunde sich eine Wetterversicherung leisten, die alles versichert, was man sich in Sachen Wetter so vorstellen kann: „Wir zahlen einen Wettertag, wenn an mehr als 5 Stunden am Drehtag der Himmel zu 80% bewölkt ist“. Geht. Machen die. Will nur keiner mehr bezahlen, und inzwischen kostet ja oft schon die Angebotslegung einer Wetterversicherung Geld (Hmm, sollten wir uns als Produktionen im Pitch vielleicht mehr an den Wetterversicherungen orientieren und eine Pitchgebühr verlangen? Hmmmm….).

Ich halte mich da mit Empfehlungen gern sehr zurück: Ich weise Kunden auf die Möglichkeit einer Versicherung hin und sage die Kosten dazu, Schlußaus. Habe aber tatsächlich jahrelang nicht mehr erlebt, daß das passiert – die Kunden nehmen lieber das Risiko eines weiteren Drehtags auf sich, als einer Versicherung vorab 20, 30tausend Euro in den Rachen zu werfen dafür, daß sie gegebenenfalls die Mehrkosten für einen Schlechtwettertag übernimmt. 

Kunden und Agenturen reden sich das gern mal schön aus der Ferne und vorab, wenn’s nicht grade um Margarinewerbung und Heile-Welt-Filme geht und sagen: „Ach so’n bisschen Regen macht uns nichts, das machts vielmehr so toll authentisch“ etc. 

Aber wir sind dann für die lästigen Details zuständig: Findet ihr es auch so toll authentisch,  wenn die Darsteller nasse Haare und blaue Lippen haben? Wenn das Tageslicht komplett wegsuppt und alles nicht nur authentisch, sondern nach Castrop Rauxel im Frühnebel aussieht? Wenn man nicht mehr mit Ton drehen kann, weil’s prasselt? 

Wir drehen halt keinen Dokfllm – wenn’s in einer Werbung regnet, dann ist das nicht bei schlechtem Wetter gedreht, dann hat einer die Regenmaschine dafür angestellt. Wenn das alle gern in Kauf nehmt, let’s do it, ich verteile Regenmäntel, ich bin ja im Service. Aber wie gesagt: dazu gehört es auch, euch die Details vorher einmal vorzuturnen und eine wettersichere Alternative vorzuschlagen.

Ihr Producerhasen wißt ja alle auswendig, wofür Zeile Nummer 7.319 unter „Location“ im Kalkulationsformular vorgesehen ist, die ihr nie mehr ausfüllt. Richtig: Wetterberichte. Weil es mal Wetterberichte vom Deutschen Wetterdienst exklusiv gegen Geld gab. Per Fax. Jetzt gibts -zig Apps, und die sagen meist alle was anderes. Das bedeutet, es hat mal eine eindeutige Autorität in der Wetterfrage gegeben: man hat auf Basis des DWD Berichts entschieden, fertig. Die Entscheidungsstrukturen waren also sehr überschaubar: 

„Drehen wir heute oder sagen wir wegen Schelchtwetters ab?“

„DWD sagt Unwetterwarnung, Sturmböen, Gewitter, Starkregen.“

„Wir sagen ab.“

Heute gibt’s bei 100 Leuten am Set 150 Wetterapps mit 200 unterschiedlich interpretierbaren Daten. Die Entscheidungsstrukturen möchte ich lieber gar nicht illustrieren… „Ich hab auf WINDFINDER aber was anderes gelesen“ etc… Ein klassischer Deadlock. 

Bei einem Dreh in Deutschland habe ich deshalb mal „Unseren Mann Im Tower“ erfunden. Genauer gesagt war ich das gar nicht, zumindest nicht allein. Den hat sich die Agenturproducerin eigentlich selbst eingebrockt. Sie fragte nämlich, ob ich nicht einen heißen Draht zum Flughafen hätte, sie hätte auf dem letzten Projekt über die andere Produktionsfirma immer Infos DIREKT aus dem Flughafen-Tower bekommen. In Wahrheit hab ich nur „Na klar, kein Problem“ gesagt, weil ich nicht schlechter aussehen wollte als die Konkurrenz; als sich dann aber herausstellte, daß eine solche Leitung gar nicht herstellbar war (wahrscheinlich hatte sie die andere Produktion auch einfach frei erfunden…) , konnte ich nicht mehr aussteigen aus dem Spiel. Ich habe mir also auf Basis des DWD Wetterberichts meine Meinung gebildet und dann jeweils verkündet, der Flughafen-Tower hätte dasselbe gesagt. KLASSISCHER Fall von „Autorität etablieren“ (siehe auch oben unter „Erstens“). Damit konnte ich dann alle nervösen, appbasierten Drama-Nachfragen zum DWD Wetterbericht wegwischen und diverse begründete Entscheidungen rechtfertigen. Ist gutgegangen, Thor sei Dank. 

Womit ich nicht dazu aufgerufen haben möchte, daß Ihr ab jetzt mit ausgedachten Geschichten euch Autorität anmaßen sollt, die ihr nicht habt. Es reicht eigentlich, wenn ihr Entscheidungen auf Sachbasis herbeiführt und sie dann auf der etablierten Kommandokette Kunde / Agentur / Produktion dramafrei durchdekliniert, ganz normales Producer-Business eigentlich.

Und immer an die alte Producerweisheit denken: „Hope for the best, prepare for the worst!“

Luftdruckfinetuning

Beim Gespräch über die richtige Kaffeemaschine für’s Produktionsbüro taten sich neulich zwei Fraktionen auf: die eine war mehr so die Fraktion „Ich mag Kaffee“. Die andere Fraktion hatte detaillierte Geschichten zu bieten von diesem einen Kaffeeladen in sagenwirmal San Francisco wo sie immer ein Barometer neben der Maschine stehen haben, um den Mahlgrad des Kaffees auf den Luftdruck in der Atmosphäre anzupassen. Oder war es der Druck in der Kaffee-Maschine? Und heißt es überhaupt noch Kaffee-Maschine? Ihr merkt schon bei welcher Fraktion ich eher zuhause bin.

Und tatsächlich ist das eigentlich ein guter Indikator dafür, ob man zum Producer taugt oder ob man vielleicht über andere Betätigungsfelder, gern natürlich auch in der Kreativindustrie, nachdenken sollte. Ein Producer ist für mich jemand, der einen guten Kaffee zu schätzen weiß; dem es aber gerne mal im Detail egal ist, wie der hergestellt worden ist. Der die Leute kennt, die wissen, wie & wo der hergestellt wird, und der am Ende auch sagen kann, was der Kaffee kostet. Und für wieviel man ihn einem Kunden weiterberechnen könnte und dabei noch einen soliden Schnitt macht.

Aber müssen Producer dafür zutiefst und wirklich selber begeistert sein davon, daß ein sicher interessant gekleideter Barista in San Francisco alle Viertelstunde aufs Hygrometer guckt, und müssen sie sich selbst jetzt auch so ein Ding in die Küche hängen? Müssen sie, mit anderen Worten, sich für jede Detailfrickelei, jedes Optimierungspotenzial, jede kreativ sich gerierende Distinktionsstrategie, für jede Art Kunstwollen interessieren und erwärmen? Nein, sage ich, das müssen sie nicht, die Producer.*

Eine gute Faustformel, sozusagen Ockham’s Razor für das Produktionsgeschäft ist doch vielmehr die Frage: „Lässt sich das in Excel abbilden“? Wenn nein…

So, darauf erstmal einen NesKaffee.

*Achtung, Producer-Nerd-Content: A propos Excel. Genauswenig wie Detailfrickelei für mein Kaffee-Erlebnis entscheidend ist, genau so wenig ist es für einen guten KVA entscheidend, ob es jetzt in Zeile 12.318 auch noch die Möglichkeit gibt, die Anrechenbarkeit von Catering für Inhouse-Mitarbeiter von den Verpflegungspauschalen abzuziehen und gegen die Per Diems zu verrechnen, es sei denn das heimliche Ziel ist „Death By Confusion“. Interessiert in Wahrheit niemanden, und macht niemandes Leben einfacher, gerechter, reicher oder präziser. Können wir uns vielleicht auf einen 3 Jährigen Optimierungs-Stop beim Kalkulationsformular einigen, und uns dann nach drei Jahren mal gegenseitig fragen: „Sollen wir da jetzt dringend was ändern, oder lassen wir’s einfach wie es ist?“ Ich würde eine Menge Geld wetten zumindest auf MEINE Antwort in der Sache.

Create Less Drama

Wer mag sie nicht, die Werbung für den Young Directors‘ Award! Bei der Polizeikontrolle sagt das Mädchen auf dem Rücksitz zum Polizisten: „That’s not my Mommy“ und zeigt ein selbstgemaltes HELP! – Schild. Der Polizist tritt zurück und sagt zur nichtsahnenden Frau am Steuer: „Step out of the car, Madam!“ Das Mädchen grinst in die Kamera. Slate: „Born To Create Drama. Young Directors’ award.”

Leider haben sich das jenseits der Regie auch diverse andere Departments zu sehr zu Herzen genommen – manchmal ist da draußen einfach zu viel Drama.

Hörte neulich jemanden aus der Tech Branche sagen „Und wenn das nicht klappt, dann müssen wir das eskalieren.“Toll. Neue Vokabel für mich, allein schon deswegen toll. Erst recht aber das Konzept dahinter: nichts eskaliert von allein, nichts von dem, was ich tue, trägt absichtlich zu einer Eskalation bei, es sei denn, es geht nicht anders. Dann aber entscheide ich mich bewußt dafür. Oder anders gesagt, mein default ist NON-DRAMA; DRAMA gibt’s erst dann, wenn es wirklich sein muss, und wenn alles andere nicht geholfen hat.

Das ist ja leider bei uns, mich eingeschlossen, nicht immer so. Im Gegenteil, es gibt genug Freunde des filmproduzierenden Gewerbes, die das Drama LIEBEN. Die es anziehen, es befeuern wo es nur geht. Aus Langeweile, aus Unterforderung, aus Überforderung, oder einfach nur weil sie nichts anderes gelernt haben.

Oder gar weil sie sich vor Arbeit drücken wollen. Ich hatte mal einen Herstellungsleiter, der immer & grundsätzlich überdramatisiert hat. „Das stellst du dir so einfach vor, was? Aber in WIRKLICHKEIT IST DAS IRRE AUFWENDIG WEIL erstens, zweitens, drittens“. Und ich hab zu Anfang immer noch gedacht, ich hätte die wahre Tragweite meiner Ideen tatsächlich unterschätzt. Am Ende hatte ich eher den Eindruck, dass er grundsätzlich überdramatisiert hat, zur Abschreckung gewissermaßen, damit er weniger Arbeit mit mir & meinen Einfällen hatte.

Full Disclosure: Habe mich selbst mal ertappt wie ich Drama kreiert und ein Projekt tatsächlich beinahe in die Katastrophe geschubst habe (meine Ausrede: das ist seeeehr lange her…):

Kunde und Agentur haben am Drehort in Südafrika sich so unkooperativ verhalten, dass wir einen zusätzlichen, nicht kalkulierten Drehtag auf der Uhr hatten, für den Kunde und Agentur nicht zahlen wollten. Ich war als Executive nicht vor Ort und hab mir deshalb von der Serviceproduktion eine Einschätzung schreiben lassen dazu, wie es zu diesem weiteren Drehtag gekommen ist. Anstatt jetzt aber vor Ort erstmal für Ruhe zu sorgen und das so pragmatisch wie möglich zu Ende zu bringen, war ich so aufgebracht, daß ich den Bericht der Serviceproduktion gleich einszueins dem Agenturchef weitergeleitet habe; der, auch offenbar ein Freund des Dramas, war genau so pfiffig wie ich und hat sie postwendend seinen Leuten am Set weitergleitet: Und KA-BOOOOM. Das Drama am Set, als die Agentur der Serviceproduktion deren Protokoll der Ereignisse vorgelesen hat, hätte beinahe zu NOCH einem zusätzlichen Drehtag geführt.

Mal ganz abgesehen von der grundsätzlichen, emotionalen Beschaffenheit der meisten Mitspieler, für die man meist wenig kann, gibt es aber tatsächlich auch ein paar Techniken, die man sich mit jahrzehntelanger Übung draufschaffen kann, zum Beispiel:

Verschieben. Das wäre die beste Anti-Drama-Strategie bei meinem Südafrika-Beispiel gewesen. „Let’s cross this bridge when we get there.” Es muß nicht immer alles sofort entschieden werden. Vieles schon, eigentlich das meiste, aber eben einiges auch nicht.

Deflaten. „It’s just adverstisng, honey”. Ist das wirklich so wichtig? Wofür? Für mein Ego? Für meinen ganz speziellen Platz in dieser Produktion? In der Nahrungskette? Im Universum gar?

OPP = Other people’s problem. Vielleicht ist es gar nicht dein Problem? Check das doch nochmal, bevor du so richtig mit Schwung einsteigst.

Who’s in charge here? Drama entsteht oft in einer uns allen nur zu bekannten Umgebung, in der Verantwortlichkeiten, Zuständigkeiten, letztlich Authorität & Entscheidungstrukturen zu undurchsichtig verteilt sind. Weil alles projektbasiert ist. Weil wir alle ja fresh und funky und per DU miteinander sind.

Drama ist in solchen Umgebungen oft eine Art Hilfeschrei um jemanden herbeizurufen, IRGENDWEN, der doch bitte bitte eine Lösung für das Deadlock herbeiführen möge, das dabei zu oft entsteht. Statt des Dramas wären natürlich klare Strukturen und eine für alle offensichtliche und nachvollziehbare chain of command hilfreich – boring, undramatisch, aber wirkungsvoller.

Weitere Anti-Drama-Strategien gern in die Kommentare!